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Neue Westfälische , 06.01.2007 :

Eine Stadt kämpft gegen die Neonazis / Was in Delmenhorst verhindert wurde, gibt es in Vlotho seit Jahren – ein rechtsextremes Schulungszentrum

Von Wiebke Johanning

Das Haus liegt idyllisch am Stadtrand von Vlotho, zwischen Feldern und Wiesen, mit Blick auf die Hänge des Winterbergs, von Bäumen und Sträuchern umgeben. Doch die Musik, die aus dem Haus schallt, passt nicht zu dieser Idylle. "Deutschland, Deutschland, über alles, über alles in der Welt", wabert die verbotene erste Strophe der Nationalhymne über das Gelände.

Vlotho. Wer sich dem Haus nähert, wird von einem jungen Mann mit akkuratem Mittelscheitel abgefangen: "Was wollt ihr hier? Seid ihr von der Antifa?", blafft er Neugierige an. Besuch hat man nicht gerne im Collegium Humanum. Jedenfalls keinen, der nicht auf der stramm rechten Linie liegt.

Wer sich dagegen für "Adolf Hitler als Wille Gottes" interessiert und sich im "Kampf für unser Deutsches Reich" engagiert – der ist hier richtig. Veranstaltungen mit solchen und ähnlichen Titeln finden regelmäßig im Collegium Humanum (CH) statt. Auch über die "Auschwitz-Lüge" wird hier gerne diskutiert. In dem Weserstädtchen Vlotho existiert das, was in Delmenhorst vor kurzem verhindert wurde – ein rechtsextremes Schulungszentrum von überregionaler Bedeutung. Die niedersächsische Stadt hatte das ehemalige Hotel, dass die Neonazis für diese Zwecke ins Auge gefasst hatten, für drei Millionen Euro selbst gekauft. Vlotho wird dagegen sein Nazi-Zentrum auch mit Geld nicht mehr los.

1963 gründete das Ehepaar Ursula und Werner Haverbeck in Vlotho das Collegium Humanum, das sich Anfang der 80er Jahre zum Treffpunkt der extremen Rechten entwickelte. Holocaustleugner wie der ehemalige RAF-Anwalt Horst Mahler und Neonazi-Größen wie Meinolf Schönborn gehen ein und aus in dem Haus am Winterberg.

Auch vom Bürofenster des Vlothoer Bürgermeisters Bernd Stute blickt man auf die Hänge des Winterbergs, allerdings von der anderen Seite. Für Stute ist das ein Trost. So hat er das "Ärgernis", wie der SPD-Mann das CH nennt, wenigstens nicht jeden Tag vor Augen.

Stute ist ein besonnener Mann. Der 49-Jährige nimmt sich Zeit, bevor er auf Fragen antwortet. Zuhören und vermitteln – das hat er in seinen drei Jahren als Bürgermeister gelernt. Doch wenn man Stute nach dem Collegium Humanum fragt, lässt er alle Diplomatie fahren: "Wir in Vlotho wollen diesen Verein nicht und wir werden alles tun, damit das Treiben ein Ende hat." Klare Worte, die Stute vor einigen Wochen auch auf einer Podiumsdiskussion über das CH im Vlothoer Gymnasium ausgesprochen hat. Überraschend waren damals auch Ursula Haverbeck und Horst Mahler an der Schulpforte aufgetaucht, um mitzudiskutieren. Der Bürgermeister erteilte den ungebetenen Gästen Hausverbot und rückte damit zum Feindbild der Rechten auf. Weil angeblich Schüler nach der Veranstaltung Autos der Collegium-Anhänger beschädigten, stellten diese Anzeige gegen Stute wegen der "Verführung von Minderjährigen zu gesetzeswidrigem Verhalten". Die Polizei hat die Ermittlungen mittlerweile eingestellt.

"Absolut lächerlich" seien die Vorwürfe, sagt Stute. "Die Collegium-Anhänger hat einfach gewurmt, dass wir ihnen kein Forum geboten haben." Auch zukünftig will sich Stute nicht auf Gespräche mit Ursula Haverbeck einlassen. "Warum soll ich mit einer Holocaust-Leugnerin diskutieren? Ich muss mir auch nicht ins Knie schießen, um zu wissen, dass das weh tut." Stute wurmt, dass die Stadt kaum eine Handhabe gegen das CH hat. "Das Haus gehört der Frau Haverbeck. Wir hoffen, dass wenigstens der Trägerverein verboten wird. Das wird gerade geprüft." In der Zwischenzeit zeigt die Stadt Flagge gegen rechts. Seit Anfang 2005 gibt es das Bündnis gegen das Collegium Humanum, dem der Rat, die Kirchengemeinden, Weiterbildungseinrichtungen und viele Gruppen bis zur Antifa Bielefeld angehören. Im Juni 2005 veranstaltete das Bündnis eine Demonstration gegen das CH an der fast 1.000 Menschen teilnahmen – eine beachtliche Zahl für die 20.000-Einwohner-Stadt. Und für Stute ein Signal, "dass wir das Problem auf der Agenda haben".

"Diese Leute sind gefährlich, da muss was passieren"

Auf der Agenda ja – aber zu spät, sagt dagegen August Wilhelm König von der Grünen Liste Vlotho. "Seit 20 Jahren treffen sich die Nazis in Vlotho, seit zwei Jahren gibt es das Bündnis. Das hätte früher passieren können. Aber besser spät als nie." König selbst hat das CH seit Anfang der 80er Jahre im Blick – auch aus persönlicher Betroffenheit. "Ich hab ja Ende der 70er Jahre mit den Haverbecks noch gemeinsam an Friedensdemos in Vlotho teilgenommen." Die Haverbecks engagierten sich damals wie König in der Friedensbewegung. "Es gab Überschneidungen. Das ist ja das Entsetzliche." Mittlerweile ist es vorbei mit den Gemeinsamkeiten. "Ich war nur noch wütend darüber, was dort oben passiert." Aus der Wut entstand Engagement. In den letzten Jahren hat König zusammen mit anderen Demonstrationen gegen das CH organisiert. Auch aus Sorge, dass dort die nächste Generation Nazis herangezogen wird.

Diesen Eindruck haben auch Lea Eickmeier (19) und Lisa Jahn (18). Ein Jahr ist es jetzt her, dass die beiden Mädchen, die sich in der Schülervertretung des Wesergymnasiums Vlotho (WGV) engagieren, ein Päckchen zugeschickt bekamen. Der Inhalt: Ein Buch über die "Siegerjustiz" der Nürnberger Prozesse und ein Schreiben in dem Ursula Haverbeck vorschlug, eine Schüler-AG zu gründen, um so die "historische Persönlichkeit" Hitler besser kennenzulernen. "Zuerst waren wir fassungslos und dann sauer", erinnert sich Lea Eickmeier. Die Schülervertreter schickten das Buch postwendend zurück, zusammen mit einer wütenden Antwort. "Glauben Sie tatsächlich, dass wir den Namen des WGV durch die Einrichtung einer solchen AG in den Dreck ziehen lassen?"

Später tauchten auch Flugblätter des Collegiums auf den Schulparkplätzen auf. Lisa Jahn glaubt nicht, dass sich an ihrer Schule jemand von den Rechten anwerben lassen würde. Trotzdem machen ihr die Aktivitäten am Collegium Humanum Angst. "Diese Leute sind gefährlich, da muss was passieren."

Bildunterschrift: Vlotho geht auf die Barrikaden: Über 800 Menschén nahmen im Sommer 2006 an der Demonstration gegen das Collegium Humanum teil.

Bildunterschrift: "Wir wolen diesen Verein nicht": Bürgermeister Bernd Stute ist ein entschiedener Gegner des Collegium Humanums.

Bildunterschrift: Organisiert den Protest mit: August Wilhelm König.

Bildunterschrift: Wurden vom Collegium umworben: Die Gymnasiastinnen Lisa Jahn und Lea Eickmeier.

06./07.01.2007
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