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Schaumburger Zeitung , 23.04.1998 :

"Das zwingt in die Illegalität"

Bad Pyrmont (yt). Herr B. darf in Bad Pyrmont bleiben, er darf allerdings selbst kein Geld verdienen, noch soll er Lebensmittel, eine Unterkunft oder medizinische Versorgung bekommen. Das sieht nach Darstellung des Pyrmonter Ausländerbeirates ein Gesetzesentwurf vor, der bereits den Bundesrat passiert hat.

Herr B. gehört als Jezide einer religiösen Gemeinschaft an, die in der ganzen Welt keine Million Glaubensbrüder mehr hat. In Syrien werden die Jeziden von den Mohammedanern verfolgt und ermordet. Ihr Land wird ihnen weggenommen und ihre Dörfer werden vernichtet. "Selbst hier in Deutschland habe ich Angst vor militanten Muslimen", gesteht Herr B. Er lebt seit 1990 in Deutschland. Sein erster Asylantrag wurde abgelehnt, sein Widerspruch ist vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg anhängig. Bis dort entschieden wird, gilt sein Asylantrag als nicht anerkannt und er wird in Deutschland nur geduldet. Das bedeutet für ihn, dass er nicht arbeiten darf, um Geld für seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er hat Recht auf eine Wohnung und 75 Prozent des Sozialhilfesatzes, die er in Form von Lebensmittelgutscheinen und 80 Mark Taschengeld erhält. Wird der Gesetzentwurf im Bundestag angenommen, soll die Unterstützung wegfallen.

"Keine Wohnung, Geld und medizinische Hilfe."

Graziella Boaro-Titze, Vorsitzende des Pyrmonter Ausländerbeirates dazu: "Allen in Deutschland lebenden Flüchtlingen und Asylbewerbern, sofern diese nach Ablehung ihres Antrages lediglich geduldet werden, soll weder eine Wohnmöglichkeit, noch Sozialhilfe und eine medizinische Versorgung zukommen. Den Bediensteten der Ordnungs- und Sozialämter soll aufgebürdet werden, über jeden Einzelfall individuell und begründet zu entscheiden."

Schon jetzt haben es Herr B. und seine Familie schwer: Die Tochter, die die Schule in Bad Pyrmont erfolgreich abgeschlossen hat, darf hier keine Berufsausbildung anfangen. "Wir haben versucht, sie für drei Stunden in der Woche als Aushilfe arbeiten zu lassen", berichtet Boaro- Titze: "Das Gesuch wurde kategorisch abgelehnt." Herr B. wohnt seit sieben Jahren in Bad Pyrmont. "In dieser Zeit konnte ich so gut wie nichts machen außer essen und schlafen."

Wenn der Entwurf Gesetz wird, könnte das das Todesurteil für die Familie B. bedeuten: "Entweder wir verhungern hier oder wir werden in Syrien umgebracht". Und ähnlich dramatische Aussichten haben rund 120 weitere "geduldete" Flüchtlinge in Bad Pyrmont, die aus Ländern wie Afghanistan kommen und dort unmenschlichem Terror entkamen. Das Gesetzesvorhaben zwinge die betroffenen Menschen geradezu in die Illegalität und Kriminalität, damit sie überleben könnten, meint Boaro-Titze und ergänzt: "Der Ausländerbeirat fordert die regionalen Politiker auf kommunaler, Landes- und Bundesebene auf, sich vehement für einen humanen Umgang mit Flüchtlingen einzusetzen." Am 29. April wird der Bundestag über die Gesetzesänderung entscheiden.


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