Schaumburger Zeitung ,
17.06.1998 :
Zeichen des Protests: Einkaufen mit Wertgutschein für Flüchtlinge
Von Jens Rathmann
Bad Pyrmont. In den Einkaufswagen wandern Öl, Butter, Getränke, Käse, Kaffee - Uwe Schröder kauft ein. Doch an der Kasse zückt er nicht die Geldbörse, er bezahlt mit einem Wertgutschein, der im Landkreis Hameln-Pyrmont nur an Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge ausgegeben wird. Uwe Schröder beteiligte sich am vergangenen Samstag an der Wertgutschein-Umtauschaktion "Unrecht widerstehen / Flüchtlinge schützen" vor dem Kaufhaus Minimal.
"Der niedersächsische Innenminister hat ohne Not an die Bezirksregierungen, die Landkreise und die Kreisfreien Städte einen Erlass gesandt, der diese dazu anhält, den Flüchtlingen Wertgutscheine für ihren Lebensunterhalt auszuhändigen", heißt es in einem Informationsblatt, das Ingrid Vogt als Mitglied des Pyrmonter Arbeitskreises gegen die Wertgutschein-Praxis am Sonnabend interessierten Passanten in die Hand gab.
Für den Arbeitskreis, der von der Arbeitsloseninitiative, der Antifa, dem Orts- und Kreisverband von Bündnis 90/Die Grünen, dem Elternverein Kinderwerkstatt, dem Paritätischen und zahlreichen Einzelpersonen unterstützt wird, bedeutet die Vergabe von Wertgutscheinen den Versuch einer direkten Abschreckung von Flüchtlingen und Asylbewerbern. "Im Niedersächsischen Innenministerium weiß man recht genau, dass die Gutschein-Vergabe einen deutlich höherern Verwaltungsaufwand mit sich bringt und teurer ist, aber man setzt auf die abschreckende Wirkung des Bezahlens mit Gutscheinen", so Ingrid Vogt.
In fast sämtlichen großen Städten in Niedersachsen sei diese "diskriminierende Praxis", die die Lage der Flüchtlinge nach der Kürzung der Leistungen im letzten Jahr noch verschlechtere, gar nicht erst eingeführt oder bereits wieder rückgängig gemacht worden. "Es geht nicht um Parteipolitik, sondern um Menschen." "Das Bezahlen mit Gutscheinen diskriminiert Flüchtlinge und Asylbewerber. Ihre Lage wird bei jedem Einkauf bloßgestellt, sie können nicht mehr frei entscheiden, was sie für das Geld einkaufen", bemängelte auch Graziella Boaro-Tietze die Gutschein-Praxis. Sie betonte die Überparteilichkeit der Umtausch-Aktion, es gehe nicht um Parteipolitik, sondern um Menschen, die keine Lobby hätten: "Es wird immer viel geredet, doch kaum jemand tut etwas. Mit unserer Aktion zeigen wir zeigen wir Ungehorsam - aber wenn man nichts tut, ändert sich auch nichts."
Die Umtausch-Aktion soll nach Vorstellung des Arbeitskreises künftig folgendermaßen ablaufen: Interessierte können erstmals am 22. Juni von 10 bis 13 Uhr in den Räumen des Paritätischen Bad Pyrmont, Brunnenstraße 3, 50 oder 100 Mark einzahlen. Für dieses Geld erhalten sie dann kurze Zeit später den Wertgutschein eines Flüchtlings, den sie dann gemeinsam mit einer Einverständniserklärung zum Einkaufen von Lebensmitteln benutzten können. "Es handelt sich bei der Umtauschaktion um eine legale und humanitäre Aktion", so Graziella Boaro-Tieze. Die Aktion will der Arbeitskreis so lange fortsetzen, wie die Wertgutscheinregelung im Landkreis Hameln-Pyrmont besteht.
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