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Schaumburger Zeitung ,
13.04.1999 :
Feldpost aus Skopje – in Hameln vertreibt sie Kummer und Sorgen
Von Ulrich Behmann
Hameln. Sandra Wells (25) sitzt in diesen Tagen besonders häufig vor dem Fernseh-Apparat. Bis tief in die Nacht verfolgt die junge Mutter die neuesten Nachrichten über den Kosovo-Krieg. Kein Wunder: Ihr Mann Keith-Leslie (30) dient zur Zeit in Mazedonien. Der Pionier des in der Hamelner Scharnhorst-Kaserne stationierten 28. Regiments verließ am 11. März die Weserstadt mit Ziel Balkan. Zurück blieb seine deutsche Ehefrau und das zweieinhalbjährige Töchterchen Kathreine.
Keith-Leslie Wells ist einer von rund 4.000 britischen Soldaten der 4. Panzerbrigade, die wegen des Kosovo-Konflikts nach Mazedonien verlegt wurden – zehn Prozent der Truppe kommen aus dem Weserbergland. 90 Fahrzeuge wurden bereits von Hameln via Emden mit dem Schiff auf den krisengeschüttelten Balkan gebracht. 50 weitere sollen heute folgen. Der Konvoi besteht aus Geländewagen, Ambulanzfahrzeugen, Tiefladern, Lastwagen, Walzen, Baggern, Bulldozern und Kränen. Als Teil einer internationalen Nato-Friedenstruppe sollten die Hamelner Pioniere eigentlich im Kosovo dienen. Deshalb tragen die olivgrünen Fahrzeuge die Aufschrift "KFOR" für Kosovo Force. Alles kam anders als geplant: Die Serben weigerten sich, das Abkommen von Rambouillet zu unterzeichnen, Nato-Kampfpiloten versuchen seit 20 Tagen das Morden im Kosovo mit Bomben zu stoppen.
Nördlich von Skopje, ganz in der Nähe des ehemaligen britischen Lagers mit dem Namen "Piper’s Camp" (Piper heißt Rattenfänger), stampfen die Pioniere aus Hameln eine Zeltstadt für 45.000 Flüchtlinge aus dem Boden. "Seit Ostersonntag sind wir im Einsatz. 2.000 Zelte wurden schon aufgebaut, nun werden die sanitären Anlagen verbessert", berichtet Hauptmann Chris Blakeway (40). Weil die mazedonischen Behörden darauf bestanden, zäunten die Briten das Lager der Vertriebenen ein. "Unsere Jungs haben sogar Straßen zum Camp und eine Brücke gebaut", ergänzt Hauptmann Jim Fernandes (28) nicht ohne Stolz.
Wo genau sich ihr Mann zur Zeit befindet, weiß Sandra Wells nicht so genau. "Er ist irgendwo in Mazedonien", sagt sie. Der Name des Ortes sei für sie auch nicht so interessant. "Wichtig ist, dass er nicht ins Kosovo muss." Jeden Tag schreibt die junge Mutter einen Brief an ihren Liebsten – per Feldpost. Und täglich bekommt sie einen Bluey, wie die blauen Luftpost-Briefe genannt werden, zurück. "Keith-Leslie ruft mich alle zwei Wochen an", verrät Sandra Wells. Die Einsamkeit sei das Schlimmste. Die Sorge um den Ehemann verstärkt den psychischen Druck. "Er fehlt uns so sehr", sagt Sandra Wells. Tagsüber könne sie vieles verdrängen. "Ich will halt stark sein für meine Tochter." Abends kann Sandra Wells nicht einschlafen. Ihre Gedanken kreisen um ihren Mann, den sie sechs Monate nicht sehen wird, und die Gefahren, die zur Zeit wohl niemand einschätzen kann.
Die Armee hat im Mannschaftsheim ein "Family Center" eingerichtet. Dort treffen sich die Soldaten-Frauen, tauschen Erfahrungen aus oder besprechen Alltagsprobleme. Tee und Kaffee gibt’s gratis. Und das Fürsorge-Team gibt sich alle Mühe, die Mütter und Kinder abzulenken – mit Fahrten in den Zoo oder einem festlichen Dinner. "Wir nehmen den Frauen so viel wie möglich ab, mähen den Rasen, bringen das Auto zum TÜV oder helfen beim Ausfüllen von Verträgen", sagt Captain Blakeway.
Sandra Wells fühlt sich gut betreut. Als Deutsche hat sie die Möglichkeit, mal eben schnell bei der eigenen Familie vorbeizuschauen – sollte ihr die Decke auf den Kopf fallen. Aber auch die britischen Frauen können ihre Angehörigen auf der Insel besuchen. Die Armee bezahlt zwei Freiflüge pro Halbjahr. "Und wenn jemand seine Eltern unbedingt in Hameln haben möchte, dann holen wir auch die 'rüber", sagt Presseoffizier Michael Middleton. "Für unsere Soldaten-Frauen ist uns nichts zu teuer. Wenn sie schon so lange auf ihre Liebsten verzichten müssen, dann soll es ihnen wenigstens an nichts anderem fehlen."
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