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Schaumburger Zeitung ,
08.05.1999 :
"Mit dem Kopf im Kosovo"
Von Johannes Tuschhoff-Cicigoi
Stadthagen. Im Wohnzimmer flimmert der Fernseher. Ein albanischer Sender, über Satelit zu empfangen, lässt neueste Bilder von Kämpfen im Kosovo über den Bildschirm laufen. Zwischendurch sind Statements von Politikern gestreut. Das Ehepaar L. und Verwandte blicken wie gebannt auf die Szenen. Sie kommen aus der Krisenregion und können die Geschehnisse nicht fassen. Seit fünf Jahren leben sie in Deutschland - unfreiwillig, weil ihnen schon damals in ihrer Heimat die Lebensgrundlage entzogen wurde.
Nisret L., so berichtet seine Frau, bekam Probleme mit der serbischen Polizei. Zunächst hatte er nach elf Jahren seinen Arbeitsplatz in der Stadt Verizoj (Kosovo) verloren. Serbische Arbeitskräfte nahmen seine Stelle ein. Seine Frau, die als Bankangestellte in Pristina tätig war, ereilte das gleiche Schicksal. Ohnehin wurde die albanische Sprache verboten und durch die serbische ersetzt. Straßennamen änderten sich prompt. Dann zog sich die Schlinge enger: Binnen zwei Tagen musste das Ehepaar ihren Heimatort verlassen.
"Mit dem Kopf sind wir im Kosovo", betont L. und schildert Schicksale ihre Familie, mit der seit dem Beginn der Bombardements kein Kontakt mehr besteht. Etliche fristen in einem makedonischen Lager ihr Leben, so jedenfalls lauteten letzte Berichte. Zu ihnen gehört eine Schwägerin mit vier kleinen Kindern, deren Haus bombardiert wurde. Während serbischer Angriffe hatten sie sich im Keller verborgen gehalten. Dann wurde ihnen in einer Fünf-Minuten-Aktion die Ausweisung befohlen. Eine Stunde später rückten Serben mit Lkws an, um das Haus zu plündern, weiß das Ehepaar heute. Angst herrscht vor - auch jetzt noch.
Die Zukunft scheint ungewiß. L. verschweigt nicht die Zustände in Makedonien: "Eine Katastrophe!" Ein Blick zum Fernsehgerät: "10.000 weitere Flüchtlinge sollen nach Deutschland kommen? Hoffentlich ist dann auch die Schwägerin mit ihren Kindern dabei." Die Eltern der Ehefrau wurden ebenfalls getrennt. Während ihr Vater heute in der Schweiz lebt, bangt sie um ihre kranke Mutter, die bei Nachbarn im Kosovo zurückblieb. Den rettenden 20 Kilometer-Marsch hätte sie nicht durchgestanden.
Wie es ihr heute geht, weiß Frau L. nicht, da die Verbindungen abbrachen. Ihre Schilderungen kommen immer wieder auf die rücksichtslosen systematischen Zerstörungen in ihrer Heimat zurück. Nie konnte Nisrat L. das Grab seiner inzwischen verstorbenen Mutter besuchen. Sein Vater, mittlerweile 85 Jahre alt und zuckerkrank, bereitet ebenfalls große Sorgen. "Wir hoffen, dass alles bald überstanden ist", hofft das Ehepaar, "aber wann … ?" Wenn der Frieden da ist, wollen sie schnellstens wieder zurück in ihre Heimat. Sicher, viele Häuser sind zerstört. "Aber besser ist es, in der eigenen Stadt zu sein."
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