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Schaumburger Zeitung ,
23.06.1999 :
Vor dem Kosovo-Einsatz: "Jeder hat so seine Gefühle im Bauch"
Holzminden (dwz). ,"Es hat jeder so seine Gefühle im Bauch", bemerkt Winfried Köhler, Kommandeur des Pionierbataillons 1. "Alle wissen, dass der Ernstfall irgendwann kommt. Jetzt ist es halt soweit." In wenigen Tagen starten 200 Pioniere aus der Kreisstadt zu einem humanitären Einsatz in Richtung Prizren (Kosovo).
Als speziell ausgebildeten Krisenreaktionkräften kommt den Pionieren aus Holzminden eine Führungsrolle bei der Aufbauarbeit im Kosovo zu: Sie werden das 600-köpfige Pionierbataillon GECON-Kfor anführen. An der Mission beteiligt sind auch rund 80 Soldaten vom ABC-Abwehrbataillon aus Höxter. Ergänzt wird das Friedensbataillon durch eine gepanzerte Pionierkompanie der 550. deutsch-französischen Brigade aus Villingen. Außerdem dabei: Teile einer Luftwaffenpionierkompanie mit einer Hundeführerstaffel (speziell ausgebildete Sprengstoff-Hunde) und der Marine (Taucher für die Kampfmittelbeseitigung). Komplettiert wird das neue Bataillon unter Führung von Oberstleutnant Köhler von der Feldküchenkompanie.
"Unsere Aufgaben sind reinrassig humanitäre Hilfe", betont Oberstleutnant Köhler. Die Verpflegungskompanie soll für die Flüchtlinge Essen kochen und verteilen. ,"Maximal 10.000 Menschen werden wir versorgen können", rechnet Köhler vor. Es ist vorgesehen, die Speisen zentral in Prizren zu kochen und dann zu verteilen. "Zunächst einmal wird es wichtig sein, Wasser aufzubereiten." Denn viele Brunnen sollen vergiftet, Trinkwasser ungenießbar sein. Weitere Aufgaben: Straßen herrichten, Brücken bauen, Gebäude herrichten. "Und bei Bedarf Zeltlager aufbauen", so Köhler.
Natürlich müssen die Pioniere auch Minen räumen. Zur Verfügung haben die Holzmindener einen umfangreichen Fahrzeugpark, der in den letzten Tagen in Cuxhaven verladen wurde und inzwischen auf dem Seeweg Richtung Kosovo ist. Auf 250 Fahrzeuge – darunter 140 aus Holzminden – können sie zurückgreifen. Darunter sind schwere Transporter, aber auch "Fuchs" und "Dachs", der Pionierpanzer. Und im Einsatzland warten bereits zwei Minenräumpanzer "Keiler", die den Soldaten bei ihrer gefährlichen Arbeit Sicherheit geben sollen. Dennoch: Es ist ein Weg ins Ungewissen. Stabsunteroffizier Matthias Schneider aus Holzminden beispielsweise bemerkt: "Es wurden zwar Ankommen getroffen und es geht ziemlich viel Militärkraft rein. Aber wie die Zivilbevölkerung reagiert, weiß niemand." Für ein halbes Jahr werden die Soldaten Dienst in Prizren tun. Motiviert seien alle, "weil man den Job machen kann, für den man ausgebildet ist", betont Matthias Schneider.
"Bei der Musterung haben wir uns dafür entschieden", unterstreicht Marco Weber, Obergefreiter aus Pegestorf. "Ich persönlich bin aber erleichtert, dass es ein humanitärer Einsatz ist." Die Pioniere haben sich intensiv auf die neuen Aufgaben vorbereitet: Sie standen auf dem Schießstand mit dem G 36 im Anschlag, absolvierten Deeskalations-Training, wurden auf die gefahren in einem fremden Land hingewiesen, drückten für Landeskunde die Schulbank, trainierten dem Umgang mit der Gasmaske und lernten die heimtückischen Minen kennen, auf die sie künftig bei jedem Schritt achten müssen.
Die Soldaten gehen gut ausgebildet in das Kosovo. Dennoch lasen sich die Gedanken an die lange Trennung von den Familien nicht immer unterdrücken. "Job ist Job", erklärt Matthias Schneider bestimmt. "Meine Frau kennt das schon", fügt er hinzu. Dreieinhalb Monate ist der Stabsunteroffizier in Kroatien und Bosnien bereits im Ifor-Einsatz gewesen. Bei der zweiten Nachfrage allerdings gibt er zu: "Natürlich sind meine Frau und meine Eltern ziemlich besorgt.“
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