www.hiergeblieben.de

Schaumburger Zeitung , 09.12.2000 :

Verletzungen vor der Haustür

Bad Pyrmont (nl). Am Sonntag, 10. Dezember, wird vielerorts der internationale "Tag der Menschenrechte" begangen. Grund genug, so meint der Ausländerbeirat Bad Pyrmont, sich auch hier vor Ort mit Gedanken zu diesem Thema zu beschäftigen.

Häufig begegnet uns die Forderung nach Einhaltung von Menschenrechten im Zusammenhang mit politischen Forderungen, wenn es beispielsweise um Vorkommnisse in China geht oder um den Beitritt der Türkei in die EU oder die Ost-Erweiterung der EU mit dem Streben, die im Osten Europas befindlichen Staaten in die Gemeinschaft der Europäischen Union aufzunehmen. "Wir erfahren dann, dass es in diesen Staaten immer wieder zu Verletzungen elementarster Standards von Menschenwürde und Menschenrechten kommt. Wir können dankbar sein, dass derartig gravierende Verstöße hier bei uns in Deutschland nicht zu beobachten sind. Dennoch muss auch festgestellt werden, dass Deutschland Empfänger von Mahnungen zur Einhaltung der Menschenrechte ist", betont Graziella Boaro-Titze, Vorsitzende des Ausländerbeirates in Bad Pyrmont. Es stellt sich die Frage: "Ist dies denn wirklich Realität, oder handelt es sich vielmehr um eine realitätsfremde und völlig überzogene Maßregelung? Werden bei uns denn wirklich Menschenrechte verletzt?"

Der Ausländerbeirat beklagt zum Beispiel per Gesetz und durch Verwaltungshandeln umgesetzte Verstöße. "Hier in dieser Republik, auch in unserer Gemeinschaft leben Menschen als Flüchtlinge, denen per Gesetz alle drei Monate ein Aufenthaltsrecht verlängert wird. Und dies in nicht wenigen Fällen seit etlichen Jahren. Quartal für Quartal, Jahr für Jahr, ohne dauerhafte Perspektive, ohne ernsthafte Integrationsbemühung seitens der Mehrheitsgesellschaft. In unserer Nachbarstadt leben Menschen in diesem Status seit mehr als acht Jahren in einem Container in Bahnhofsnähe", so Graziella Boaro-Titze.

Andere werden per Gesetz dazu gezwungen, drei Jahre lang mit einer Art Wertmarkensystem einkaufen zu gehen und sich ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, obwohl sie zum Teil bereits mehrere Jahre hier in Deutschland leben. Allen gemeinsam ist oft, dass es ihnen per Gesetz untersagt ist, irgendwelche Arbeit aufzunehmen. Sie werden also in die soziale Abhängigkeit gezwungen, was ihnen dann allerdings von zahlreichen aus der Mehrheitsgesellschaft wiederum vorgeworfen wird. "Und wenn diese Menschen beabsichtigen, ihren Wohnort oder Landkreis zu verlassen, beispielsweise weil sie Freunde oder Verwandte besuchen möchten, so müssen die dies jedesmal bei der Gemeindeverwaltung beantragen und genehmigen lassen", erklärt die Vorsitzende.

Das Recht auf Freizügigkeit, auf Arbeit, auf angemessenen Wohnraum und auf Selbstbestimmung sind auch Menschenrechte, die diesen nach Deutschland geflüchteten Menschen vorenthalten werden. "Verletzung von Menschenrechten – wir müssen also nicht in die Ferne schauen und danach suchen. Wir finden sie hier in unmittelbarer Nähe, mitten zwischen uns, wir müssen nur schauen und es sehen wollen. Sie sind real, nur nicht so spektakulär, dass sie den Wert von Schlagzeilen haben“, betont Graziella Boaro-Titze zum morgigen "Tag der Menschenrechte".


sz@schaumburger-zeitung.de

zurück