Schaumburger Nachrichten ,
16.02.2002 :
Kommentar / Geheiligte Mittel
Von Hermann A. Griesser
So wichtig es ist, dass V- Leute des Verfassungsschutzes in Organisationen eingeschleust werden, die der Verfassungsfeindlichkeit verdächtig sind, so unvertretbar ist es, wenn diese Agenten in radikalen Gruppierungen selbst Führungspositionen übernehmen, zuweilen sogar die Logistik und die Propaganda prägen. Was jetzt ans Tageslicht kommt, ist ein Skandal ohnegleichen — besonders schlimm, weil er nun ausgerechnet die Rechtsradikalen zum Opfer staatlicher Übergriffe macht. Freilich nur zum Opfer, nicht zum Triumphator, wie immer wieder gesagt wird — denn welch ein Bild muss eine solche Partei, die sich als dermaßen massiv unterwandert erweist, bei ihrer eigenen Anhängerschaft abgeben? Was hier offensichtlich geschehen ist — dass nämlich die verfassungsfeindliche Aggressivität der NPD vom Verfassungsschutz selbst verschärft und ein Teil der erwünschten Beweise von ihm selbst produziert wurde — , ist in einem Rechtsstaat, der gewiss einen starken Verfassungsschutz benötigt, völlig unakzeptabel.
Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass dieses bedenklich ausufernde Treiben von Verfassungsschützern durch eine Haltung begünstigt wurde, die alle etablierten Parteien an den Tag gelegt hatten: Wenn es gegen "Rechts" geht, gilt das Prinzip, dass der Zweck die Mittel heiligt. Die breite Übereinstimmung aller Parteien in der (grundsätzlich vollauf berechtigten) Ablehnung der NPD, die auch noch als "Aufstand der Anständigen" ideologisch überhöht wurde, hat beim Verfassungsschutz zu einem Übereifer geführt, der alle Sicherungen in den Gehirnen der Ermittler durchbrennen ließ. Und die Verantwortlichen in Bund und Ländern — vor allem der Bundesinnenminister — haben sich nicht hinreichend um den Fortgang der Ermittlungen gekümmert. Es ist wohl begreiflich, wenn jetzt etliche Politiker aus Sorge um das Ansehen des Staates oder auch nur im Sinne eigener Interessen den Verbotsantrag lieber zurückzögen. Denn sie fürchten wohl, dass sich im Blick auf die Aktivitäten des Verfassungsschutzes im Zuge des Verfahrens noch entsetzlichere Abgründe auftun und den Verfassungsschutz, ja, den ganzen Staat in Verruf bringen könnten.
Aber gerade deshalb — um ein völliges Fiasko zu verhindern — ist jetzt eine konsequente weitere Prüfung der Verfassungswidrigkeit der NPD nötig. Was sich die Behörden eines Rechtsstaates hier erlaubt haben, ist ja überhaupt nur dann teilweise entschuldbar, wenn am Ende tatsächlich der Beweis für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD erbracht wird. Doch auch wenn dies nicht geschehen sollte, wäre eine abweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht verheerender als ein jetziger Ausstieg aus dem Verfahren.
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