www.hiergeblieben.de

Schaumburger Zeitung , 30.05.2002 :

Drei Haftbefehle: Polizei fahndet nach Rintelner Neonazis

Rinteln (wer). Einen Monat vor der geplanten Demonstration ist Rintelns rechte Szene kopflos: NPD-Kreisvorsitzender Sandy O. und zwei Mitstreiter sind untergetaucht. Amtsrichter Christian Rost hat einen Haftbefehl gegen die Rintelner Neonazis erlassen. In der Nacht zum 21. April sollen sie einen Schüler, der Anhänger der Antifa ist, in einem Auto verprügelt haben.

Noch in der gleichen Nacht haben sich Sandy O., Marcus W. und ein dritter, aus Braunschweig stammender Neonazi, aus dem Staub gemacht. Alle drei sind einschlägig wegen Körperverletzung vorbestraft und verbüßen Bewährungsstrafen. In den frühen Morgenstunden des 21. April sollen sie einen Rintelner Schüler in ein Auto gezerrt, mit einem Messer bedroht und mit einem Baseballschläger traktiert haben. Der Schüler erlitt Prellungen. Vorangegangen war offenbar ein Einschüchterungsversuch mehrerer Antifa-Anhänger gegenüber Marcus W., der allerdings Verstärkung holte. Die Freunde des Entführten alarmierten die Polizei, die den Wagen der Neonazis stoppte.

Gegenüber den Beamten hat der Schüler zunächst keine Angaben gemacht – erst vor dem Ermittlungsrichter sagte er aus. Zu diesem Zeitpunkt waren die drei Kidnapper allerdings schon untergetaucht. Thomas Pfleiderer, Chef der Bückeburger Staatsanwaltschaft, die den Haftbefehl des Amtsgerichtes erwirkt hat, nimmt die Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Antifa in Rinteln "sehr ernst". Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die drei Rechtsradikalen wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.

Die Mindeststrafe für gefährliche Körperverletzung liegt bei sechs Monaten. Kommt es zu einem Urteil, könnten alle drei Wiederholungstäter, die gegen ihre Bewährung verstoßen haben, für über ein Jahr hinter Gitter wandern. "Es könnte etwas ruhiger in Rinteln werden", hofft Pfleiderer. Vor dem Amtsgericht verantworten müssen sich Sandy O. und Marcus W. noch in einer anderen Angelegenheit: Gegen beide liegt eine Anklage wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte vor, die im Juni verhandelt werden sollte.

Für Stadt und Staatsanwaltschaft kommen die neuen Ermittlungen zu einem nicht ungelegenen Zeitpunkt. Obwohl den Aufmarsch am 1. Juni der Hamburger Christian Worch angemeldet hat, fehlen den Rechtsradikalen jetzt die heimischen Organisationsstrukturen. Sandy O. firmiert als Kreisvorsitzender der NPD Schaumburg/Hannover-Land, Marcus W. gilt als führender Kopf der parteiunabhängigen Kameradschaft Weserbergland.

Die Staatsschutzabteilung der Polizei Hameln konstatiert eine zunehmende Vernetzung rechter Gruppen aus Schaumburg, Minden, Hameln und Barsinghausen. Von Rinteln aus wurden Aktionen zuletzt vor allem in Barsinghausen gesteuert. Die Deisterstadt erlebte erst am Sonnabend eine vom Schaumburger NPD-Verband angemeldete Demonstration mit 60 bis 70 Teilnehmern. Nur einer fehlte – der flüchtige Funktionär Sandy O..

Über das Vorgehen gegen den in Rinteln angemeldeten Aufmarsch will die Stadt am 16. Mai im Verwaltungsausschuss beraten. Prinzipiell strebt die Verwaltung – wie bei der Anmeldung im November – eine Verbotsverfügung an. Am 7. Mai wollen Parteien, der DGB und andere Organisationen über eine eigene Kundgebung für Toleranz am 1. Juni beraten. Ein Vorbild könnte Barsinghausen sein: Am Sonnabend gingen hier rund 500 Menschen gegen Rechtsradikalismus auf die Straße. Auch mit einer Gegendemonstration der Antifa am 1. Juni wird gerechnet.


sz@schaumburger-zeitung.de

zurück