Schaumburger Zeitung ,
19.09.2003 :
"Verlorene Jahre": Rechtsradikale kehren der Szene den Rücken
Nach brutaler Gewalttat: Drei und zwei Jahre Haft für Rintelner Ex-Neonazis
Von Frank Werner
Rinteln / Bückeburg. Die Große Strafkammer des Landgerichts hat am Mittwoch gegen zwei Rintelner Neonazis verhandelt, die keine mehr sein wollen: Der NPD-Kreisvorsitzende Sandy O. (26) hat alle Ämter niedergelegt, Michael S. (25) philosophiert inzwischen über "falsche Gedanken" der Rechten und hat ein Aussteiger-Programm kontaktiert. Echter Sinneswandel oder nur Prozess-Kalkül?
Beide haben einem Milieu abgeschworen, dem sie in den nächsten Jahren ohnehin kaum angehören können: Das Landgericht hat sie zu längeren Haftstrafen verurteilt. Wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung wandert Sandy O. für zwei Jahre, Michael S. für drei Jahre hinter Gitter.
Als "Speerspitze" einer "stillen Revolution" habe man sich verstanden, die über Generationen die "nationale Idee" in die Köpfe pflanzen sollte, klärt Michael S. das Gericht über die Ziele des "nationalen Widerstandes" auf. "Es musste erst etwas passieren, um mir die Augen zu öffnen."
Passiert ist es am 21. April 2002. Kurz nach "Führers Geburtstag", den Rintelns rechte Szene mit Jägermeister und Red Bull begossen hat. Marcus W. geriet gegenüber vier Antifa-Anhängern in die Unterzahl, griff zum Handy. Sandy O. und Michael S. griffen zu Staubsaugerrohr und Baseballschläger.
Die Gefechtslage war seit Monaten die gleiche: "Hausbesuche", Pöbeleien, Drohgebärden, ab und zu eine Schlägerei. "Das Ausmaß der Auseinandersetzungen zwischen der links- und rechtsextremen Szene in Rinteln war herausragend für den norddeutschen Raum", bilanziert der Leitende Oberstaatsanwalt Thomas Pfleiderer. "Beide Lager haben sich nichts geschenkt."
In der Nacht auf den 21. April eskalierte der Gruppenkonflikt. "Die Tat ist total aus dem Ruder gelaufen", meint auch Sandy O. Den Antifa-Anhänger Hannes M. traten und verprügelten die Rechtsextremisten nicht nur, bis der Baseballschläger zerbrach, an einem Feldweg außerhalb der Stadt diskutierten sie auch darüber, ihn umzubringen. Michael S. zückte ein Butterfly-Messer und sprach davon, ihn "abzustechen". Hannes M. berichtet dem Gericht von Todesangst: "Da war kein Mensch weit und breit - nur vier Leute, die mich auf den Tod nicht leiden konnten."
Der Antifa-Anhänger kam mit Prellungen davon. Die Neonazis tauchten unter und gerieten auf der Flucht in Streit. Die einen wollten zur Fremdenlegion, Sandy O. wollte einen anderen Weg gehen. Endstation war die Polizei: Marcus W., Sandy O. und Michael S. wurden im Dezember, Februar und April verhaftet.
Das Landgericht verhandelte gegen Sandy O. und Michael S., das Verfahren gegen Marcus W. folgt vor dem Amtsgericht. Beide Angeklagten wollen mit der rechten Szene gebrochen haben. Sie inszenierten sich als reumütige und geläuterte Ex-Neonazis und vergaßen auch nicht, sich beim Opfer zu entschuldigen.
Sandy O., der auch im Landesvorstand der Jungen Nationaldemokraten war und als Kopf der Rintelner Neonazis galt, beteuerte, es sei "komplett Schluss" mit der NPD-Arbeit. Mit "Phrasen" habe er versucht, Jugendliche für die rechte Szene zu gewinnen - "das waren verschenkte Jahre". Als er wegen seiner Ausstiegsambitionen vom eigenen Lager bedroht worden sei, habe er "angefangen zu verstehen, wie sich Hannes M. gefühlt haben muss".
Michael S., der sich mit 13 Jahren in die rechte Szene mischte, kriminell wurde und als "nicht mehr beschulbar" galt, dem der Sachverständige Johannes Pallenberg gleichwohl eine "überdurchschnittliche Intelligenz" bescheinigte, will der Neonazi-Kameradschaft ebenfalls den Rücken kehren: "Die Szene bringt mich immer wieder ins Gefängnis." Seit zehn Jahren habe ihn ein "unterschwelliges Rassismus-Denken" geprägt - "es gab mannigfache Ausreden für Probleme, die bei mir selbst lagen".
Weniger einnehmend als die Worte wirken die Strafregister: Beide sind einschlägig vorbestrafte Gewalttäter und waren auf Bewährung draußen, als sie Hannes M. verprügelten. Michael S. hatte über fünf Jahre im Knast gesessen, nachdem er zusammen mit anderen Neonazis einen Obdachlosen fast totgeschlagen hatte. Bis auf Details haben beide die Tat am 21. April gestanden.
Oberstaatsanwalt Pfleiderer hat allerdings nicht nur das "brutale und feige Vorgehen" der beiden Rechtsradikalen verurteilt, sondern auch mahnende Worte an die Antifa gerichtet: "Gewalt wird nicht dadurch legitimer, weil sie von links kommt."
Mit ihrem Urteil folgte die Strafkammer im wesentlichen dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Richter Börries Freiherr von Hammerstein glaubte zumindest Sandy O. den Sinneswandel, Zweifel blieben bei Michael S.: "Ich kann Ihnen noch nicht hinter die Stirn schauen, aber ich hoffe, Sie meinen es ernst." Sicherungsverwahrung hat das Gericht gegen den Wiederholungstäter nur unter Vorbehalt angeordnet.
Anmerkung von www.hiergeblieben.de: Artikel auch über Marcus Winter.
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