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Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. , 22.11.1997 :

Förderpreis Konziliarer Prozeß der Evangelischen Kirche von Westfalen für "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V." / Redebeitrag des Vereins bei der Preisverleihung

Sehr geehrte Damen und Herren,

für die Verleihung des Förderpreises "Konziliarer Prozeß" möchten wir im Namen des Vereins Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. unseren herzlichen Dank aussprechen. Außerdem möchten wir die Gelegenheit nutzen, um uns bei all denen zu bedanken, die durch ihre Unterstützung unsere Arbeit möglich gemacht haben.

Diese Preisverleihung ermutigt uns und setzt ein Zeichen. Dies ist sehr wichtig für uns. Wir erleben, daß der Not von Flüchtlingen in unserer Gesellschaft immer mehr mit Gleichgültigkeit begegnet wird. Die Unmenschlichkeit, die die Flüchtlinge hier bei uns erfahren müssen, wird aufgrund von Vorurteilen und Unkenntnis von der breiten Öffentlichkeit nicht nur geduldet, sondern sogar bejaht.

Der Preis setzt ein Zeichen, daß das Unrecht gegenüber den Abschiebehäftlingen auch von gesellschaftspolitisch relevanten Gruppen, wie der Evangelischen Kirche, gesehen wird.

Zu unserer Arbeit hier einige Fallbeispiele von drei Betreuerinnen bzw. Betreuern des Vereins:

Ich betreute im Abschiebegefängnis einen Kurden, dessen Frau in der Abschiebehaftanstalt Neuss einsaß. Sie hatten acht Kinder im Alter von 2 bis 14 Jahren, die auf vier verschiedene Kinderheime verteilt wurden. Das Jugendamt verbot den Kindern jeglichen Besuch und telefonischen Kontakt mit ihren Eltern. Lediglich der Austausch von Briefen wurde unter Kontrolle des Jugendamtes gestattet. Da die Frau Analphabetin ist, und auch die jüngsten Kinder noch nicht lesen und schreiben konnten, gab es einen Monat lang keinen Kontakt zwischen Eltern und Kinder. Dies führte dazu, daß die Eltern alles unternahmen, um möglichst schnell abgeschoben zu werden. Obwohl der Vater mir versprochen hatte, direkt nach der Ankunft in der Türkei einen Brief zu schreiben, habe ich bis heute noch keine Antwort erhalten. Ich gehe davon aus, daß er in einem türkischen Gefängnis sitzt.

Der Pakistaner Herr Mohammed, 30 Jahre alt, von mir betreut, kam nach 6-wöchigen Klinikaufenthalt aus Fröndenberg in die JVA Büren. Er hatte aus religiösen und parteipolitischen Gründen in Deutschland um Asyl gebeten. In Deutschland medizinisch behandelt, da er Diabetespatient war, von einem väterlichen Freund während seines Haftaufenthaltes sogar adoptiert, wartete er auf seine baldige Haftentlassung. Er wußte sich sowohl juristisch wie medizinisch und menschlich gut versorgt. Dann erfolgte unerwartet und plötzlich seine Abschiebung nach Pakistan; sein Eigentum und Gepäck war, aufgrund der großen Eile mit der die Abschiebung vollzogen wurde, in Deutschland geblieben. Die akute Gefährdung für Leib und Leben bewirkte eine panische Angst, die sich durch die Sorge, in Pakistan nicht mehr adäquat medizinisch versorgt zu werden, noch steigerte, so daß Herr Mohammed vom Flughafen Karatschi bewußtlos in eine Klinik gebracht werden mußte, in der er nicht mehr zu Bewußtsein kam und verstarb.

Vor sechs Wochen mußte ich ohnmächtig miterleben, daß zwei von mir betreute syrische Kurden abgeschoben wurden. Sie sind Mitglieder einer verbotenen kurdischen Partei und waren deshalb, bevor sie nach Deutschland kamen, seit 4 Jahren in Syrien in Haft. Nachdem sie sich zum Schein dazu bereit erklärt hatten, für den syrischen Geheimdienst zu arbeiten, waren sie aus der Haft entlassen worden. Da sie sich aber der Mitarbeit verweigerten, drohte ihnen eine erneute Verhaftung. Ihnen gelang die Flucht nach Deutschland. Ihre Anträge auf Asyl wurden allerdings abgelehnt, da sie keine Beweise beibringen konnten. Ich habe für sie Asylfolgeanträge gestellt und bei ihren Freunden und Verwandten versucht, Beweise für die Inhaftierung über den Libanon zu beschaffen. Ich rief den Petitionsausschuß an, um die drohende Abschiebung auszusetzen bis die Beweise eingetroffen sind. Dennoch wurden die beiden Kurden vorher abgeschoben. Über die Verwandten habe ich erfahren, daß sie sich mittlerweile in dem berüchtigten Gefängnis des Geheimdienstes befinden, aus dem man entweder nur tot oder verkrüppelt und seelisch-gebrochen herauskommt. Erschütternd waren für mich die massiven Ängste der beiden vor ihrer Abschiebung. Bei meinem letzten Besuch wollte ich ihnen noch etwas Reisegeld zukommen lassen, doch sie lehnten mit der Begründung ab, daß sie mit Sicherheit am Flughafen verhaftet würden und dann das Geld nur dem syrischen Geheimdienst in die Hände fallen würde.

Die hier vorgetragenen menschlichen Schicksale und Ungerechtigkeiten sind keine Einzelfälle. Jede Betreuerin und jeder Betreuer des Vereins könnte noch von vielen Abschiebehäftlingen berichten, denen Ähnliches widerfahren ist.

Uns macht das Schicksal der Inhaftierten und die Ungerechtigkeit immer wieder betroffen.

Deshalb versuchen wir, für die Inhaftierten zu sprechen, da ihre Schreie nach Gerechtigkeit und Menschlichkeit nicht nach außen dringen oder nicht gehört werden.

Dies ist ein wichtiges Ziel unserer Arbeit, um die Verstöße gegen die Gerechtigkeit und Menschlichkeit, die durch die Abschiebepraxis weitgehend im Verborgenen passieren, sichtbar zu machen.

Außerdem wollen wir den Menschen nahe sein, ihnen Kontakt nach draußen vermitteln und ihnen helfen, ihre verbliebenen minimalen Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen.

Wir fühlen uns in unserer Arbeit oftmals allein gelassen, da wir in der Öffentlichkeit auf Unverständnis, Ablehnung und Intoleranz treffen.

Zudem befinden wir uns in einem Zwiespalt, weil wir mit unserer Arbeit zu einer Beruhigung der Gefangenen beitragen und damit das Unrechtssystem stabilisieren helfen. Uns beunruhigt, daß wir oftmals als Feigenblatt für das öffentliche Gewissen benutzt werden.

Das Ziel des Vereins ist die Abschaffung der Abschiebehaft. Denn monatelange Inhaftierung zur Sicherstellung einer Verwaltungsmaßnahme, wie der Abschiebung, ist menschenunwürdig und unverhältnismäßig.

Gründe für unsere Ablehnung der Abschiebehaft sind insbesondere:

Ca. 90 % der Abschiebehäftlinge sind inhaftiert, obwohl sie keinerlei Straftat begangen haben;
Die Anhörungen im Asylverfahren stellen oftmals eine Farce dar. Daraus entstandene Verfahrensfehler können unter anderem wegen der kurzen Klagefristen kaum noch behoben werden;
Es gibt große Schutzlücken im Asylrecht: Beispielsweise stellen
- Vergewaltigung, Folter oder Kriegsdienstverweigerung für sich allein keinen Asylgrund dar;
- Gruppenverfolgte erhalten kein Asyl, solange kein genereller Abschiebestopp für ihr Heimatland verfügt worden ist;
Wer über irgendein Nachbarland der Bundesrepublik einreist, erhält kein Asyl;
Abschiebungen werden auch dann durchgeführt, wenn die Flüchtlinge massive Angstzustände zeigen oder Suizidversuche unternommen haben;
Abschiebungen erfolgen, obwohl uns die Inhaftierten sehr wohl glaubhaft machen konnten, daß ihnen in ihrem Heimatland langjährige Haft oder Tod droht;
Abschiebehaft wird von unserer derzeitigen Regierung gezielt als Abschreckungsmaßnahme eingesetzt, um die Zahl der Menschen, die bei uns Zuflucht vor Verfolgung, Hunger und Krieg suchen, rigoros zu senken;
Schließlich erzeugt die Kriminalisierung von Flüchtlingen durch Abschiebehaft ein soziales Klima, das Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremistischen Tendenzen in unserer Gesellschaft Vorschub leistet.

Wir hoffen und erwarten deshalb gerade auch von den Kirchen in Deutschland, daß sie noch mehr als bisher und vor allem energischer als Fürsprecher der Flüchtlinge eintreten.

Im August diesen Jahres jährte sich zum 50sten Mal das Darmstädter Wort des Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum politischen Weg unseres Volkes.

In diesem Schuldbekenntnis werden Lehren für die Kirche aus der barbarischen deutschen Vergangenheit unter der Nazidiktatur gezogen. Es heißt dort u.a. in These 5: Wir sind in die Irre gegangen, weil wir es unterlassen haben, "die Sache der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der Christenheit zu machen."

In diesem Sinne wünschen wir uns heute von den Kirchen einen Aufruf mit der Forderung zur radikalen Änderung der Asylgesetzgebung und Abschiebepraxis sowie zur Abschaffung der Abschiebehaft.

Denn wir wollen nicht, daß wir uns eines Tages wieder eingestehen müssen, daß wir in die Irre gegangen sind, da wir "untätige Zeugen" waren "einer abermaligen, diesmal demokratisch abgesicherten Barbarei", wie es Günther Grass treffend formuliert hat.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


gockel@gegenabschiebehaft.de

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