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Frankfurter Allgemeine Zeitung , 21.11.2003 :

Hohmann-Affäre / Vielleicht muss man das Buch erst mal lesen

Von Andreas Rosenfelder

20. November 2003. Um die Gestalt des Bibliothekars ranken sich Mythen. In Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose" gebietet der Mönch Jorge von Burgos, literarischer Doppelgänger des blinden Jorge Luis Borges, als Zentrum einer konservativen Verschwörung über die Bücher des Klosters. Als Schatzhüter und Geheimnisträger ziehen Buchverwalter schon von Amts wegen den Verdacht der Aufklärer an. Ist es ein Zufall, daß auch die Bielefelder Universitätsbibliothek, ein Mythos aufgrund babylonischer Ausmaße und grenzenloser Öffnungszeiten, ihre Verschwörungstheorie besitzt? Denn jene Bibliothek, in der Niklas Luhmann seinen geheimnisvollen Zettelkasten auffüllte, rückt nun als Quelle der dunklen Hohmann-Rede in den Blick.

Der Historiker Johannes Rogalla von Bieberstein, Verfasser des von Hohmann zitierten Buches "'Jüdischer Bolschewismus'" - Mythos und Realität" ist seit 1974 in der Bibliothek angestellt und betreut als Fachreferent Soziologie das Zentrum für Interdisziplinäre Forschung und Frauenforschung. Hohmann nutzte Rogallas im Antaios-Verlag erschienene Abhandlung als Beleg für seine Unterstellung einer massiven jüdischen Beteiligung an der Oktoberrevolution. Die Antifa AG verteilte daraufhin bereits in der letzten Woche Flugblätter, in denen der Bibliothekar der "nachträglichen Rechtfertigung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik" beschuldigt wurde. In einem Nebenraum der Bibliothek hütet Rogalla von Bieberstein noch die Überreste eines eigenhändig abgerissenen Transparents mit seinem Namen und der Losung: "Antisemiten raus aus der Uni".

Konservative Revolution

Im Bestand der Hochschulbibliothek ist Biebersteins Werk bis zum 3. Dezember entliehen und viermal vorgemerkt. Wie die verschollene Komödientheorie des Aristoteles in Ecos Roman, so markiert das umstrittene Werk auch in der Bielefelder Debatte eine Leerstelle. Biebersteins Kritiker mußten also selbst jene verschwörungstheoretischen Verfahren nutzen, welche sie dem Autor unterstellten. Der AStA stellte einen Text ins Netz, der Bieberstein mit den ebenfalls bei "Antaios" veröffentlichten Erinnerungen des kürzlich verstorbenen Armin Mohler an Ernst Jünger in Verbindung bringt und als Mitglied einer von Adeligen getragenen "Konservativen Revolution" ausmacht - ein Argument, das der Behauptung der vom Judentum betriebenen Oktoberrevolution ähnelt.

Rogalla von Bieberstein dürften all diese Verwicklungen nicht wundern. Denn in seiner 1972 bei Rudolf Vierhaus eingereichten Dissertation untersuchte er die These eines freimaurerischen Komplotts hinter der Französischen Revolution und fand einen von "antimodernistisch-klerikalen Kreisen" aufgebrachten, "wahnhafte Züge tragenden Verschwörungsglauben". Die Arbeit machte den Autor nach eigener Auskunft zum "Experten für Verschwörungstheorien" - und tatsächlich stellte er seine Arbeiten an namhaften Stellen wie der Pariser "Maison des Sciences de l'Homme" vor und publizierte unter anderem in Helmut Reinalters Suhrkamp-Band "Freimaurerei und Geheimbünde". Mit Stolz verweist Bieberstein auf ein Lob des Historikers Pierre Nora in der Festschrift für den jüdischen Antisemitismusforscher Léon Poliakov, dem das Buch über "Jüdischen Bolschewismus" als langjährigem Gesprächspartner gewidmet ist.

Linke "Hyänen"

Nach Erscheinen seiner Dissertation, sagt Bieberstein, verziehen ihm die Rechten nicht, dass er das nationalsozialistische Judenbild als Erbe jener katholisch-aristokratischen Ideenwelt beschrieb, der auch seine ostpreußischen Ahnen anhingen: "Ich habe mich immer gefragt, woher der Antisemitismus im Milieu meiner Familie kommt." Heute fielen die Linken wie "Hyänen" über ihn her, weil er im Haß auf den Bolschewismus ein Motiv der Antisemititen ausmache: "Woher kommt die antijüdische Besessenheit Hitlers?"

Biebersteins leicht chaotisches Büro, wo zwischen Mappen und Papierstapeln ein ergonomischer Bürostuhl steht, sieht eher nach Bürokratie als nach Gelehrtentum aus - auch wenn der mit 63 Jahren kurz vor der Pensionierung stehende Beamte den Bügel seiner Brille wie eine Pfeife in den Mund nimmt. Der Bibliothekar in Cordhose und Pullunder erfüllt mit seinem ein wenig zerzausten Haar ganz das selbstgewählte Bild des Einzelgängers. Schließlich führte seine wissenschaftliche Karriere nach hoffungsvollen Anfängen in Göttingen, Bochum und an der London School of Economics bloß auf eine Verwaltungsstelle, obwohl er in der Neugründungswelle promovierte.

Professorenarroganz

Bieberstein, der die großen Bielefelder Historiker wie Koselleck und Wehler aus den frühen Siebzigern kennt und sich selbst als "Nonkonformisten mit linksliberalem Bildungshintergrund und christlich-konservativem Familienhintergrund" beschreibt, spricht angesichts der Aufmerksamkeit für sein Buch mit Genugtuung von der "Professorenarroganz". Die Geschichtswissenschaft nämlich habe der Haßformel vom "jüdischen Bolschewismus", die auf dem Titel in Anführungszeichen steht, keine Beachtung geschenkt.

Kränkung scheint für Rogalla von Bieberstein ein Leitmotiv zu sein - von der Schmähung seiner zum Landjunkertum gehörigen Familie als "Todfeinde des deutschen Volkes" nach dem Krieg bis hin zur Mißachtung seiner Arbeit durch eine Disziplin, deren Weihen er nie erlangte. Daß der Forscher, der die Weltverschwörung in seiner Dissertation als fixe Idee entlarvte und Angst als ihr Motiv ausmachte, nun nach "natürlich maßlos aufgebauschten Indizien" sucht und "Rache" als psychologisches Hauptmotiv des Antisemitismus beschreibt, mag mit diesen Erfahrungen zusammenhängen. Mut feiert Bieberstein als Erbe jenes Rittertums, das ihm sein als Kavallerieoffizier dienender und nach dem 20. Juli inhaftierter Vater vorgelebt habe.

Hans-Ulrich Wehler jedenfalls, den der Titel und das Vorwort des "späten Nolte" skeptisch stimmen, läßt sich das Buch nun trotz aller Skepsis vom Verleger zuschicken: "Ich will nicht ausschließen, dass Bieberstein vernünftig gearbeitet hat." Und auch im AStA der Uni, wo bereits ein "Giftschrank" für rechte Literatur gefordert wird, heißt es nachdenklich, man müsse das Buch womöglich doch erst einmal lesen. Die Hochschule verkündete am Mittwoch, sie habe den "Jüdischen Bolschewismus" durch zwei ungenannte Experten auf strafrechtliche Tatbestände wie Holocaustleugnung prüfen lassen und sehe "für dienstrechtliche Maßnahmen keinen Anlass". Auch im Fall des Bibliothekars von Bielefeld sind Mythos und Realität nur durch Lektüre zu unterscheiden.


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