WebWecker Bielefeld ,
09.11.2005 :
(Bielefeld) Hitler war's!
Von Karl Mosh
Jeder TV-Zuschauer kennt die Dokumentarfilme von Guido Knopp. Als Begründer und Leiter der Redaktion für Zeitgeschichte beim ZDF verfügt er inzwischen über ein immensen Etat und hat zahlreiche Filme produziert. "Hitler Helfer", "Hitlers Krieger", und so weiter. Seine Produktionen erreichen jedes Mal ein Millionenpublikum und werden nicht nur in der Bundesrepublik ausgestrahlt.
Ebenfalls international bekannt ist der Film "Der Untergang" von Bernd Eichinger. Während in Deutschland scheinbar fast alle von dem Hitler-Epos begeistert waren und selbst Schulklassen den Film zu Unterrichtszwecken besuchten, war im Ausland eher ein leichter Schock zu beobachten.
Die Filme Guido Knopps kommen als seriöse, von Historikern gemachte Dokumentationen daher. Bernd Eichinger bietet einen melodramatischen Blick durch das Schlüsselloch des Führerbunkers. Beide sind sich in ihrem Umgang mit Geschichte ähnlich. Es ist kein Zufall, dass sowohl "Der Untergang" wie auch Knopp in Deutschland, dem Land der Täter, ein Millionenpublikum finden, so die These des Historikers und Filmregisseurs Hannes Heer. Am vergangenen Mittwoch las er im Buchladen Eulenspiegel aus seinem neuen Buch "Hitler war's" und diskutierte mit den Anwesenden.
Hannes Heer ist ehemaliger Leiter der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944". Für Aufruhr und die zeitweilige Rücknahme der Ausstellung, um sie neu zu konzeptionieren, sorgten vor allem Fotos die statt Verbrechen der Wehrmacht Verbrechen des sowjetischen Armee zeigten. Eine Folge: Hannes Herr wird als Ausstellungsleiter entlassen. In seinem Buch "Vom verschwinden der Täter" beschäftigt sich Heer mit den Vorwürfen. Seiner Meinung nach waren es politische Gründe und nicht ein paar falsche Fotos die zum Ende des Projekts führten. Dies werde an der zweiten Konzeption deutlich.
Die Nazis verschwinden ...
Die Lesung im Eulenspiegel beginnt mit der Einleitung des Buches. Nicht nur "um den methodischen Rahmen des Buches zu verstehen", wie Heer sagt, sondern auch um eine Kernthese vorwegzunehmen. Auf den ersten zwei Seiten spricht nicht Heer sondern Samuel K. Padover. Er war Offizier bei der US-Army und führte, während der Krieg noch tobte, in den schon befreiten Gebieten Interviews mit Deutschen. In seinem Buch "Lügendetektor" hat er seine Erfahrungen beschrieben. In einer Passage die Heer zitiert, stellt Padover nach ein paar Wochen in Aachen zynisch fest: "Wir haben mit vielen Menschen gesprochen, wir haben jede Menge Fragen gestellt, und wir haben keinen einzigen Nazi gefunden. Jeder ist ein Nazigegner." An dieser Darstellung der besiegten Deutschen kommen Padover einige Zweifel: "Was heißt das? Es heißt, dass Hitler die Sache ganz alleine, ohne Hilfe und Unterstützung irgendeines Deutschen durchgezogen hat. Er hat den Krieg angefangen, er hat ganz Europa erobert, den größten Teil Russlands überrannt, fünf Millionen Juden ermordet, sechs bis acht Millionen Polen und Russen in den Hungertod getrieben, vierhundert Konzentrationslager errichtet, die größte Armee in Europa aufgebaut und dafür gesorgt, dass die Züge pünktlich fahren. Wer das alleine schaffen will, muss schon ziemlich gut sein. Ich kenne nur zwei Menschen in der ganzen Welt die so etwas können. Der andere ist Superman."
Noch während des Krieges beschreibt Padover eine Strategie der Schuldabwehr, die sich, so Heer, in der Nachkriegszeit fast alle Deutschen zu eigen gemacht haben. Sie dominierte die Medien genauso wie sie die Basis für die unzähligen, populären Biographien von Generälen war. Selbst die bundesdeutsche Geschichtsforschung sah in den Deutschen nur Verführte. Die Geschichte wurde, so das damalige Credo, "von großen Männern" gemacht.
Zwar gab es in der Nachkriegszeit auch einige Momente, in denen dieses Bild gehörig ins Wanken gebracht wurde, wie der Auschwitz-Prozess oder ganz allgemein der Bruch der 68er mit ihren Nazi-Eltern, doch habe sich der Mythos von den Unschuldigen und verführten Deutschen, insbesondere in der persönlich weitergegebenen Sicht der Nazizeit, bis heute gehalten.
In der deutschen Geschichtswissenschaft habe sich der "Hitlerismus" zwar ebenfalls überholt und an seine Stelle sind komplexere Analysen der sozialen und strukturellen Verhältnisse getreten. Jedoch gibt es seit dem Historikerstreit und spätestens seit Ende der Neunziger einen Rollback. Ein Vorteil der Fixierung auf Hitler liegt darin, so ein Historiker, dass, "je größer die Rolle Hitlers und seines Herrschaftssystems (wird), um so entschuldbarer (wird) die deutsche Gesellschaft". Auch versuche man mit so einer Argumentation "einen Rest von nationaler Selbstbehauptung (zu) retten" wie Heer schreibt.
Ein weiterer Vorteil sei die mit der Reduktion auf Personen einhergehende Vereinfachung des komplexen Geflechts gesellschaftlicher Prozesse. "Biographische Geschichtsschreibung präsentiert Menschen mit Emotionen und Schicksalen, in die wir uns einfühlen können, stellt Nähe her, vernichtet die Distanz und nivelliert das uns Fernliegende", schreibt Heer in seinem Buch. Für die Beschäftigung mit der Nazizeit habe das besonders fatale Folgen: "Sie verliert den Schrecken und die Einzigartigkeit, den der Zivilisationsbruch des Holocausts und des Vernichtungskrieges bedeutet, sie wird zur harmlosen Geisterbahn, zu einem Arsenal von Stories und Legenden."
Der Historiker Eric Hobsbawm schrieb: "Heutzutage wird mehr Geschichte den je von Leuten umgeschrieben oder erfunden, die nicht die wirkliche Vergangenheit wollen sondern eine, die ihren Zwecken dient. Wir leben heute im großen Zeitalter der historischen Mythologie." In seinem neuen Buch will Heer "einige dieser Mythologen" vorstellen.
Wie Geschichte zur "Geschichtstapete" wird ...
Bei der Lesung im Eulenspiegel stellt Hannes Heer das Kapitel über Guido Knopp vor. Pointiert fasst er in seinem Buch den Aufbau der sechsteiligen "Hitler Helfer"-Reihe zusammen. Geschichte wird zu einem Videoclip. Heß, Himmler, Goebels, Göring, Speer und Dönitz widmet Knopp je eine eigene Folge. Bestimmte Momente aus dem Werdegang stehen im Mittelpunkt. Gerade so wie es passt. "Küchenpsychologisch" werden Gründe dafür gesucht wie man zur Nazi-Elite wurde. Die Deutungslinien, die den Zuschauern präsentiert werden, sind immer ähnlich einfach. Ein Klumpfuss reicht aus um aus einem normalen jungen Mann einen verbitterten Massenmörder zu machen. Ein autoritärer Vater und schon hat man ein "Erweckungserlebnis" und der Führer wird zum "Messias".
Diese biographische Geschichtsschreibung erzählt zwar ein paar Details über den Lebenslauf der obersten Nazi-Elite, jedoch nichts darüber wie der Nationalsozialismus in Deutschland zu einer Massenbewegung werden konnte. Diese Reduzierung des Nationalsozialismus auf ein paar Männer mit verkorkster Kindheit ist, laut Heer, ein Teil des Erfolgsrezept der Doku-Reihe. Diese Darstellung kommt der individuellen Schuldabwehr der meist älteren Zuschauerinnen und Zuschauern entgegen. Hitler war’s und nicht die Millionen gewöhnlicher Deutscher.
Wer sich von Knopp zumindest eine genaue Betrachtung von Wirken und Einfluss der sechs Obernazis auf den Nationalsozialismus erwartet, wird auch enttäuscht. "Die Knoppschen Berichterstattungen haben mit Rekonstruktion von Geschichte wenig zu tun. Eher entstehen sie gerade durch die Auslassung von Geschichte", sagt Heer. Bei näherem Hinsehen zeige sich das diese Reduktion, "nicht Ergebnis eines einfallslosen Herumschnippelns, sondern das Produkt eines wohlüberlegten Konzepts und eines höchstprofessionellen Arbeitsvorgangs sind". Bezeichnend dafür sei auch der Einsatz Zeitzeugen. Je nach Erfordernissen kann bei manchen auch schon mal die Tätigkeitsbezeichnung wechseln.
Auch sei es bemerkenswert aus wie wenig Bild-Quellen sich die Knoppschen Filme speisen. Oft werden Bilder aus der Wochenschau oder aus anderen NS-Organen verwendet ohne darauf hinzuweisen, dass man gerade die Sicht des "Reichsministeriums für Propaganda" vorgesetzt bekommt.
In den anderen Kapiteln des Buches geht es um den "Hitlerismus" im Film "Der Untergang". Eine Auseinandersetzung mit der idealisierten Sicht der Wehrmacht des Instituts für Zeitgeschichte nimmt ebenfalls viel Raum ein. Das Institut kritisierte lautstark die erste "Wehrmachtsausstellung". Mit den Vorwürfen hat sich Heer schon in seinem vorherigen Buch "Vom Verschwinden der Täter" ausführlich auseinander gesetzt. Es wird aber auch ein Gegenbild vorgestellt. Einerseits die heftige Kritik Dietrich Bonhoeffers am deutschen Bürgertums. Andererseits die Auseinandersetzung einiger Autoren mit der eigenen Familiengeschichte im und nach dem Nationalsozialismus in Romanform.
Nach der Lesung hatte der WebWecker die Gelegenheit für ein kurzes Interview mit Hannes Heer:
WebWecker: Sie sprechen in Ihrem Buch im Zusammenhang mit dem "Untergang", Guido Knopp oder dem Institut für Zeitgeschichte von einer geschichtspolitischen Wende. Ihr vorheriges Buch "Vom Verschwinden der Täter ... " ist auch eine deutliche Kritik an der zweiten Ausstellung zu den Verbrechen der Wehrmacht die eine ähnliche Stoßrichtung hat. Könnte man Ihrer Meinung nach die zweite Ausstellung auch in den Kontext der "geschichtspolitischen Wende" einreihen?
Hannes Heer: Ich würde sagen wir haben so eine Wende spätesten seit dem Beginn des neuen Jahrtausends. Das kann man an vielen Beispielen ablesen. Die zweite Wehrmachtsaustellung ist so ein Beispiel wo alles harmonisiert und alles sozusagen auf einen Konsens runter gedimmt wird. "Der Brand" von Jörg Friedrich ist ein Beispiel dafür wie aus Tätern plötzlich Opfer werden.
Fest und Guido Knopp machen ja schon lange ihre Sachen. Fest hat in den Siebzigern und Knopp in den Neunzigern angefangen. "Der Untergang" hat aber für eine bestimmte Geschichtsbetrachtung wieder ein Tor aufgemacht. Nämlich die Nazizeit als eine Geschichte von wenigen Schurken und einer Masse von eigentlich Unbeteiligten, tragisch Verstrickten oder Verführten. Insofern markiert der Film eine Radikalisierung eines beschönigenden und entlastenden Geschichtsverständnisses. Es ist immer einfach, wenn man jemand hat, der Sündenbock ist. Der Titel meines Buches "Hitler war's" ist ein Entlastungsmanöver das im Moment Konjunktur hat. Insofern kann man von einer geschichtspolitischen Wende sprechen, die sich natürlich schon länger entwickelt hat.
WebWecker: Zum Schluss der Diskussion nach Ihrer heutigen Lesung kam das Beispiel der SchülerInnen, die abwehrend reagieren, wenn es im Unterricht um die Verbrechen des Nationalsozialismus geht. In der Diskussion gab es Stimmen, die Verständnis für eine solche Haltung haben, weil es sich ja auch um sehr brutale und unschöne Dinge handele. Glauben Sie, Jugendliche, die sich Actionfilme anschauen und Ballerspiele spielen um zu entspannen, reagieren deswegen abwehrend weil ihnen die Geschichte einfach zu grausam ist? Widerrum gibt es deutliche Anzeichen für das Erstarken eines deutschen Nationalismus bei Jugendlichen. Wenn man nachfragt woher der Stolz Deutscher zu sein kommt, wird oft von einem Bruch zwischen der BRD und dem NS-Deutschland gesprochen. Man habe inzwischen alles verarbeitet und wieder gutgemacht. Darauf könne man stolz sein, so die Argumentation. Woher kommen Ihrer Meinung nach solche Gerüchte? Und kann es nicht auch sein, dass eine abwehrende Haltung bei manchen Jugendlichen die gleichen Gründe hat wie bei Erwachsenen auch: Die Verbrechen stehen einer gewünschten positiven Identifikation mit dem deutschen Volk im Weg und müssen deswegen irgendwie umgemodelt werden?
Hannes Heer: Dass man um die Nazizeit erst mal einen großen Bogen macht, ist erst mal verständlich. Es sind ja keine angenehmen Geschichten. Bei Jugendlichen oder bei der zweiten Generation ist auch eine Angst vorhanden mit ihren Eltern beziehungsweise Großeltern in Konflikt zu geraten. Natürlich kann man sich auch nicht so fühlen wie die Franzosen, Engländer oder Türken, die man aus seinem Alltag kennt. Da ist dann immer dieser Schatten "Nazizeit". Man will sich aber mit dem Kollektiv identifizieren und da ist das hinderlich. Da ist das ein Ausweg und eine Ausrede zu sagen, wir haben doch jetzt alles erledigt und bewältigt und wir sind doch jetzt durch. Überhaupt nichts ist durch. Überhaupt nichts haben wir bewältigt. Wir sind am Anfang oder bestenfalls mittendrin. Der Umgang mit den Verbrechen ist nicht angemessen. Wir flüchten immer noch. Da kann allerlei Gefährliches draus entstehen, muss aber nicht. Diese Jugendlichen sind noch in einem Ausprobier-Stadium. Sie probieren mal so eine Haltung mal so eine. Das ist kein entgültiges Urteil über diese Generation.
webwecker@aulbi.de
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