Neue Westfälische ,
08.11.2003 :
Kommentar / Der neue Antisemitismus / Hohmann, das Holocaust-Mahnmal und die Deutschen
Von Bernhard Hänel
Die Entsorgung der eigenen Geschichte beschäftigt die Deutschen erneut und heftig. Zwei Themen sind es, die eine erregte Debatte ausgelöst haben. Da ist zum einen das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und zum anderen die Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann. Es wäre falsch verstandene Political Correctness beide Debatten nicht unter dem gleichen Licht zu betrachten.
Um Hygiene am Bau sind jene bemüht, die in Berlin ein degussafreies Mahnmal errichten wollen. Kein einziger Stein, nicht einmal seine Beschichtung soll von einer Firma kommen, die den Nazis das Gift mischte, mit dem sie sechs Millionen Juden ermordeten.
Ein verständlicher, aber dennoch törichter Versuch der Entsorgung von Geschichte. Die kennt nicht nur Kontinuitäten, sondern eben auch Brüche; zuvorderst die deutsche. Einer dieser Brüche ist die Bundesrepublik. Sie ist der Gegenentwurf zur Nazi-Diktatur, ihre Verfassung ein Vermächtnis der Toten und ein Schuldbekenntnis der Überlebenden. Das gilt für jeden Einzelnen ebenso wie für die willigen Helfer in der deutschen Industrie.
Wer der Degussa das Recht abspricht, das Berliner Mahnmal mit seinem Produkt gegen befürchtete Neo-Nazi-Schmierereien zu schützen, ignoriert, was sich bis heute getan hat; gerade auch die Initiatorenrolle Degussas für den Aufbau des Fonds für die Opfer der NS-Zwangsarbeit. Die Firma hat sich zu ihrer Verantwortung bekannt, statt sie zu entsorgen.
Anders gelagert ist der Fall Hohmann. Der CDU-Politiker versucht absichtsvoll und systematisch die deutsche Geschichte zu entsorgen, in dem er historische Halbwahrheiten aneinander reiht, ohne historische Quellen zu bemühen. Vorlagen hätte er ausgiebig gehabt, wenn er den Historiker-Streit Mitte der 80er Jahre verfolgt hätte. Damals stritten hochintelligente Gelehrte wie Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Habermas gegen Ernst Nolte und Andreas Hillgruber, die die Nazi-Verbrechen mit Untaten in den Anfangsjahren in der Sowjetunion entschuldigt hatten.
An dieses Niveau reicht Hohmann nicht heran. Eine seiner Quellen ist ein – so der Spiegel – "unausgegorenes Machwerk" des Bielefelder Uni-Bibliotheksdirektors Johannes Rogalla von Bieberstein, dessen Werke in der Szene der neuen Rechten warmherzig empfohlen werden.
Sicherlich ist Hohmann kein Antisemit alter Schule. Der neue Antisemitismus ist schlauer. Er gibt sich einen gemäßigten Anstrich. Für ihn sind die Juden nicht an allem schuld, sondern lediglich nicht weniger schuld als die Deutschen. Damit aber liefert er die Vorlage für rechtsextreme Glatzköpfe, die Legitimation suchen für ihre menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Aktionen bis hin zum geplanten Anschlag auf die Grundsteinlegung für die neue Synagoge in München am 9. November, dem Tag der Pogromnacht.
Darum ist jeder Versuch der Entsorgung der deutschen Geschichte unstatthaft. Er nagt an den Wurzeln dieser Republik. Gerade die CDU sollte dies begreifen und die Konsequenz aus seinem Brandstiftungsversuch ziehen. Sie muss sich sofort von ihm trennen, will sie nicht selbst in den Dunstkreis des Antisemitismus geraten
08./09.11.2003
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