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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 13.11.2003 :

Bieberstein und die Brandstifter / Hohmanns Vorlage kam aus der Universität

Von Bernhard Hänel

Bielefeld. CI 780 R 721 – so lauten die bibliothekarischen Koordinaten, die in der Universitätsbibliothek Bielefeld zur Fundstelle des Buches führen, das dem CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann die Grundlagen für seine antisemitische Rede lieferte. Der Titel "Jüdischer Bolschewismus – Mythos und Realität" ist derzeit ausgeliehen und bereits vier Mal vorgemerkt.

Auch im Buchhandel sei der 312 Seiten dicke Band aus dem national gesinnten Verlag "Edition Antaios" nahezu vergriffen, erläutert der Autor und Uni-Bibliotheksdirektor Johannes Rogalla von Bieberstein im Gespräch mit der Neuen Westfälischen.

Wie immer, wenn es um antisemitisches Schriftgut geht, sieht sich Bieberstein missverstanden. "Ich bin kein Antisemit", betont der nach Besoldungsgrupe A15 (4.704,62 Euro) bezahlte Beamte. Er sei ein international anerkannter Historiker, der gerade vom jüdischen Professor Richard Lewi (Chicago) um einen Enzyklopädie-Beitrag zum Thema "politischer Antisemitismus" gebeten worden sei. Bieberstein räumt ein, dass "Herr Hohmann aus meinem Buch Fakten holte", aber von "Juden als Tätervolk habe ich nicht geschrieben".

Für die Geschichtswissenschaftler der Uni spielt Bieberstein, ein Spross aus altem südwestdeutschem Beamtenadel, dennoch keine Rolle als Historiker. "Seine Promotion bei Rudolf Vierhaus war mittelmäßig", urteilt etwa der angesehene Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler. "Den Mann habe ich kaum wahr genommen."

Bedauerlich. Zumal für einen Gelehrten, der häufig ein Wächteramt wahrnimmt gegen Versuche der Verdrängung deutscher Geschichtshypotheken. Und auch der Soziologe und Leiter des Interdisziplinären Zentrum für Gewalt- und Konfliktforschung, Wilhelm Heitmeier, hat Bieberstein nicht auf dem Schirm. Bei seinen Vorträgen in Bielefeld sei ihm der inzwischen 63-Jährige zwar mit seinen abstrusen Thesen aufgefallen; viel Bedeutung habe er ihm dennoch nicht beigemessen. "Als Einzelperson kann man da wenig machen", meint Heitmeier. Aber kümmern müsse man sich schon um diese Leute, "auch wenn sie nicht das Kaliber von Hohmann darstellen".

Heitmeier weiß um die Gefährlichkeit extremistischen Gedankenguts. "Sie wächst gleichzeitig an mehreren Ecken. Der Rechtspopulismus à la Möllemann oder Hohmann ist nicht von Pappe." Die Befassung mit dem Uni-Bürger Rogalla von Bieberstein sieht Heitmeier aber eher als Aufgabe der Gremien der Bielefelder Alma Mater.

Das sieht der Allgemeine Studierendenausschuss (ASTA) anders. Dessen Vorsitzender Philipp Wagner weiß, dass ein Arbeitskreis vor hat, Bieberstein zu stellen. Gedacht ist an ein Streitgespräch. Doch die Befürchtung stehe im Raum, dass "wir einem Mann wie Bieberstein dann ein öffentliches Forum bieten".

Wagners Furcht teilt auch der Rechtswissenschaftler Christoph Gusy, der als Prorektor zuständig ist für die Finanz- und Personalangelegenheiten der Uni. Zudem sei eine Hochschule ein "Marktplatz von Ideen und Diskussionen". Dem Einwand, dass auch Markthändler faule Früchte aussortierten, begegnet er mit der Klarstellung, dass die Uni als solche keine wissenschaftlichen Ideen verkaufe. "Die wissenschaftlichen Inhalte vertreten die Wissenschaftler selbst. Die Universität hat weder das Recht noch die Möglichkeit, eine Aufsicht vorzunehmen über Inhalte, die in ihr verbreitet und gelehrt werden."

Wissenschaftsfreiheit auch im Beamtenrecht

Auch beamtenrechtliche Möglichkeiten gegen einen Bediensteten – denn Bieberstein sei ja nicht als Wissenschaftler eingestellt – sieht Gusy nicht. Schließlich gelte die Wissenschaftsfreiheit auch im Beamtenrecht. Die sei weit gefasst. Großen Wert legt der Verfassungsrechtler auf die Feststellung, dass die Universität keinen "Ewiggestrigen" decke. "Das täten wir nur dann, wenn wir von Möglichkeiten, die wir hätten, keinen Gebrauch machen würden." Der Bibliothekar aber veröffentliche in eigener Verantwortung. Ob Bieberstein seine "Forschungserkenntnisse" innerhalb seiner Arbeitszeit als Bibliothekar gewinne, sei ihm nicht bekannt. "Es gehört aber nicht zu den Dienstaufgaben eines Bibliothekars, eigene wissenschaftliche Ergebnisse innerhalb der Dienstzeit zu produzieren – es sei denn, er schreibt wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bibliothekswesen nieder." Eine Vernachlässigung seiner Aufgaben als Bibliothekar könne die Universität nicht hinnehmen.

Auf den Grund gegangen ist diesem Phänomen aber bislang niemand. In der Universität gilt von Bieberstein als Sonderling und wird auch so behandelt. Das Problem erledige sich spätestens in eineinhalb Jahren. Dann verlässt der stets gebeugt gehende Bieberstein (Heitmeier: "Seine Körperhaltung zeigt, dass er schwer an seiner Mission trägt") für immer sein Büro in der Bibliothek. Mit 75 Prozent seiner Bezüge.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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