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Neue Westfälische , 14.11.2003 :

Streit an der Uni um Bieberstein / Historiker sehen den Bibliothekar in der rechten Ecke

Von Carsten Heil

Bielefeld. Lange fristete ein Buch des Bibliothekars der Universität Bielefeld ein Mauerblümchendasein. Nur ein besonders interessiertes Publikum stöberte Johannes Rogalla von Biebersteins Arbeit auf: "Jüdischer Bolschewismus – Mythos und Realität." Doch von einem Tag auf den anderen sind Werk und Autor ins grelle Licht der Öffentlichkeit gerückt. Weil der umstrittene CDU-Abgeordnete Martin Hohmann sich bei seiner Rede zum 3. Oktober auf dieses Buch beruft.
Schon der Autor des Vorwortes lässt aufhorchen. Der Historiker Ernst Nolte feiert Rogalla von Biebersteins Buch als "ein grundsätzliches Werk, das die starke Verwicklung von Juden in den Bolschewismus akribisch genau untersucht". Eben jener Ernst Nolte, der Mitte der 80er Jahre den Historikerstreit entfachte, indem er die Nazi-Verbrechen an sechs Millionen Juden durch den Vergleich mit kommunistischen Verbrechen in der Sowjetunion zu verharmlosen suchte.

Nicht nur das Vorwort ruft Widerspruch geradezu hervor

Da darf sich Rogalla von Bieberstein nicht wundern, wenn sich prompt Kritiker melden. Zumal nicht nur das Vorwort Widerspruch geradezu hervorrufen muss. So vertritt der Autor die These, dass "das politische Wirken jüdischer Kommunisten die materielle Voraussetzung für pauschale Diffamierungen und Verschwörungstheorien bildet" (Seite 127 des Buches); die klassische Konstruktion, dass die europäischen Juden letztlich Mitschuld an ihrer Verfolgung und Ermordung tragen. Als hätte es Antisemitismus nicht schon vor der Oktoberrevolution von 1917/18 gegeben.

Statt Gründe dafür zu recherchieren, warum sich viele Juden an der Revolution beteiligten – unter anderem, weil sie durch zaristische Unterdrückung an den unteren Rand der Gesellschaft gedrängt wurden und dort revolutionäre Tendenzen naturgemäß verbreiteter sind, als in der Oberschicht – spürt Rogalla von Bieberstein lediglich ihrer Zahl nach. Den sozio-kulturellen Hintergrund blendet er weitgehend aus, wie ihm Historiker vorwerfen. Und schließlich ruft er dazu auf, der "deutschen Jugend nicht über Generationen die Last von Auschwitz aufzubürden". Gleichwohl sieht sich Rogalla von Bieberstein zu unrecht in der Kritik. Die Berichterstattung empfindet er als "perfide". Mit Ignatz Bubis habe er gesprochen, eine Tagung in Auschwitz besucht und sei lange in der christlich-jüdischen Gesellschaft. Dass sich rechte Kreise bei ihm bedienten, "kann ich nicht steuern". Er werde kritisiert, ohne dass seine Kritiker das Buch gelesen hätten.

Gelesen wird das Werk nun von Experten der Uni Bielefeld. Sie sollen prüfen, ob sich volksverhetzende Inhalte darin finden. Das wäre strafrechtlich von Bedeutung. Rektor Dieter Timmermann: "Wenn sich nichts strafrechtlich Relevantes findet, ist die Sache für uns erledigt."

Das sehen Teile der Studierenden anders. Sie wollen, dass die Uni-Leitung Stellung bezieht und haben ihr das auch mitgeteilt. Für Stefan Bröhl vom ASTA muss die Auseinandersetzung mit antisemitischem Gedankengut lange vor einer juristischen Bewertung beginnen. Der Allgemeine Studentenausschuss (ASTA) fordert die Entlassung Rogalla von Biebersteins. Diese Forderung hält Rektor Timmermann allerdings "für völlig überzogen".


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