Tageblatt für Enger und Spenge / Neue Westfälische ,
08.11.2005 :
(Herford) Erinnern und Heilen durch kunstvolle Worte / Peter Lieck las in der Stiftung Brand
Von Ulrike Heitholt
Herford. Bei Kerzenschein und im Stehen begann Peter Lieck unvermittelt mit Friedrich Hölderlins Gedicht "Mnemosyne". Mnemosyne ist die Göttin des Gedächtnisses, Mutter der neun Musen. Hölderlins Worte wiesen den Weg des Abends: Erinnerung, die in den Werken der Dichter unsterblich wird. Es folgte ein Stück aus Aharon Appelfelds autobiographischer "Geschichte eines Lebens".
1932 wie Paul Celan in Czernowitz geboren, überlebte der Junge den Holocaust durch Flucht aus dem Lager. Seine Familie verliert er. Nach Kriegsende versucht er an den Stränden Italiens zu vergessen, seine Erinnerungen zu betäuben. Appelfeld beschreibt die Furcht vor ihrem Ausbrechen, das Bewusstsein einer "inneren Spaltung von hier und dort, oben und unten". Mit dem Schreiben ist er dieser Furcht schließlich begegnet.
Aus einer besseren Zeit stammen Walter Benjamins Erinnerungen an seine "Berliner Kindheit um Neunzehnhundert". Benjamin, der auf der Flucht vor den Nazis im spanischen Port Bou den Freitod wählte, konnte für diesen Text Zeit seines Lebens keinen Verleger finden, er erschien posthum.
Peter Lieck ließ in getragenem Ton eine längst vergangene großbürgerliche Welt wieder aufleben, die ein ernsthaftes Kind wachsam beobachtete. In Prosa-Miniaturen beschreibt Benjamin, manchmal in reflektierendem Rückblick, die "Schmetterlingsjagd" in der Sommerfrische, die Auswirkungen der neuen Technik "Telefon" oder den faszinierenden Charme der eigentümlichen "Loggien".
Bei der Interpretation von Paul Celans Erzählung "Gespräch im Gebirg" zeigte Peter Lieck sein ganzes Können. Intensiv, eindrücklich las er die fiktive Begegnung zweier Juden im Gebirge, ihr Gespräch über Sprache, die deutsche Sprache, und Sprechen nach Auschwitz. Die Spannung war spürbar.
Mit dem erneuten Vortrag der "Mnemosyne" schloss Peter Lieck den Caclus "Stimmen der Erinnerung".
Die nächste Lesung im Haus der Stiftung Brand an der Löhrstraße beginnt am Mittwoch, 14. Dezember um 20 Uhr. Dieter Grell liest aus Thomas Manns "Der Zauberberg".
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