Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische ,
20.11.2003 :
Uni distanziert sich von Bieberstein / Gute Adresse für Historiker bleiben
Bielefeld (hl). "Das Rektorat der Universität Bielefeld distanziert sich von jedem Gedankengut, das den Eindruck erwecken kann, dass Vorgänge in Russland, an denen Menschen jüdischer Herkunft beteiligt waren, mit dem nationalsozialistischen Genozid gleichzusetzen seien oder ihn gar nachvollziehbar machen." Mit dieser öffentlichen Erklärung bezieht die Universitätsleitung Stellung zu dem Buch des Uni-Bibliotheksreferenten Johannes Rogalla von Bieberstein, "Jüdischer Bolschewismus", das von dem aus der CDU-Bundestagsfraktion ausgeschlossenen Abgeordneten Martin Hohmann als wissenschaftliche Quelle für seine als antisemitisch bewertete Rede gedient hatte.
Ausdrücklich betont das Rektorat in seiner Stellungnahme, "dass dieses Buch nicht der geschichtswissenschaftlichen Forschung an der Universität Bielefeld zuzurechnen, sondern Resultat privater Aktivitäten des Verfassers ist, die nichts mit seinen Dienstaufgaben zu tun haben". Eine Überprüfung habe ergeben, dass der Text keine Passagen enthält, die ein "dienstrechtliches Vorgehen gegen den Verfasser" geboten erscheinen ließen. "Dies bedeutet jedoch keine Billigung des Buchinhalts", betonen die Mitglieder des sechsköpfigen Gremiums.
Bei der Einschätzung des 312-seitigen Buches habe man sich auf die fachwissenschaftliche Kompetenz der Fakultät für Geschichte gestützt. "Kein Rektoratsmitglied könnte solch eine Bewertung abgeben", sagte Prorektor Christoph Gusy, Professor für Öffentliches und Verfassungsrecht. Er erhoffe sich eine breite Diskussion in der Universität, in der das Bieberstein-Buch bewertet werde. "Solch eine Diskussion würden wir auch gerne anstoßen und befördern." Gusy stellte zugleich fest, dass das Rektorat sich "erst auf Grund der fachwissenschaftlichen Befassung" distanziert habe, "die den Eindruck nahe legte, von dem Buch könnten Wirkungen ausgehen, von denen wir uns distanzieren".
Ausdrücklich verwies der Prorektor auf die Berichterstattung dieser Zeitung, die den international renommierten Historiker Hans-Ulrich Wehler zu dem Bieberstein-Buch befragt hatte. Eine gute Adresse, die an der Universität dafür sorge, dass die "fachwissenschaftliche Diskussion eigentlich so gut wie abgeschlossen ist", verweist Gusy auf die Autorität des bedeutenden Bielefelder Gelehrten.
Geschichtswissenschaft darf keinen Schaden nehmen
Natürlich gebe es Enttäuschung gerade auch bei Studierenden über die knappen Aussagen des Rektorats. "Wir fühlen selbst Enttäuschung." Die Mitglieder könnten eine Menge dazu sagen, ihnen seien aber als Gremium die Hände gebunden. "Die Wissenschaft und auch die, die sich an ihr versuchen, produzieren zahlreiche Erkenntnisse, von denen man gar keine Ahnung hat, ob die irgendwann brauchbar sind und an denen vielleicht niemals jemand ein Interesse haben könnte", schätzt Gusy die gelegentliche Wirkung des Forschens ein. Zudem hätten Wissenschaftler es nicht in der Hand festzulegen, "von wem und wofür sie rezipiert werden".
Gusy erinnerte daran, dass bis zur Hohmann-Rede Biebersteins Buch nicht zu den "wirkungsmächtigen Werken" zählte. "Erst als irgendein Festredner (gemeint ist der CDU-Politiker) seine absurden Thesen mit absurden Zahlen schmückte", hätte Bieberstein Wirkung erzielt. "Hier hat ein belangloses Buch eine Aufmerksamkeit erfahren, die wissenschaftlich nicht begründbar ist." Bieberstein habe keinen Bezug zu der an der Universität gepflegten Wissenschaft und erreiche auch nicht deren Standard.
Gleichwohl sei nicht ausgeschlossen, dass die Bielefelder Historik schon dadurch Schaden erleide, "dass hier im Hause sich jemand an Geschichte probiert und das Thema verfehlt". Daraus resultiere der Distanzierungsbedarf, meinte Gusy.
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