Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische ,
07.11.2005 :
Wider das Vergessen / Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof in Werther
Von Mario Hildebrandt
Werther. Dieser symbolische Akt auf dem jüdischen Friedhof an der Egge ging zu Herzen: Die Besucher der Gedenkfeier zu Ehren der verfolgten und getöteten Juden durften Steine als Anerkennung der Toten auf die Grabsteine legen. Bereits zum 25. Mal luden die katholische und evangelische Kirchengemeinde am Sonntag zu der kleinen Feier ein.
"Wir dürfen hoffen, wenn wir das Erinnern nicht verlernen", begrüßte Heinrich Ellerbrake von der evangelischen Kirche die Anwesenden. Er erinnerte während seiner Begrüßung an den ehemaligen Wertheraner Juden Arthur Sachs, dessen Leidensgeschichte selbst Geschichte schrieb.
Sachs wurde zunächst deportiert und ließ sich auch nach Ausgang der Kriegswirren nicht davon abbringen, wieder in seine alte Heimat zurückzukehren. Er engagierte sich noch bis zu seinem Tod vor acht Jahren auf den Wertheraner Gedenkfeiern.
Von den Steinen auf den Gräbern zu den Steinewerfern von einst – Johannes Schoenen blickte in seiner Rede in die leidvolle Vergangenheit. Der Gemeindereferent der katholischen Pfarrgemeinde Herz-Jesu schilderte noch einmal die Ereignisse nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, die schließlich in einem Genozid mündeten.
Eines dürfe man dabei nicht vergessen: Die Entwicklung hin zu dem menschenverachtenden System sei keineswegs unerwartet gekommen. Schon der erste Flächenbrand, die Reichspogromnacht in der Nacht des 9. November 1938, habe sich im Vorfeld abgezeichnet. "Sie kam nicht plötzlich über Nacht wie ein Blitz aus dem Himmel", betonte er.
Wie soll aber mit diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte umgegangen werden, fragte Schoenen. Wegschauen und Vergessen könne nicht der richtige Weg sein – vor allem nicht in der heutigen Zeit, in der wieder vermehrt Fremdenhass und Unterdrückung von Minderheiten auftreten würden. Er erinnerte an brennende jüdische Gotteshäuser in Lübeck, Erfurt, Düsseldorf und Berlin in den vergangenen Jahren. Und kritisierte das aktuelle Verhalten der deutschen Politik gegenüber den antijüdischen Hetztiraden des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Das Stillschweigen der deutschen Politiker zu diesem Thema erklärt sich Schoenen mit der hiesigen Abhängigkeit vom Öl des islamischen Landes. "Hier ist das Hemd näher als die Hose", kommentierte er.
Aber jeder Einzelne könne fernab der Politik etwas gegen Fremdenhass tun und im Kleinen einschreiten: Die Polizei bei Skinhead-Übergriffen rufen, gegen Stammtisch-Parolen ankämpfen oder sich für Minderheiten am Arbeitsplatz stark machen stellten Schritte in die richtige Richtung dar.
Noch heute leben zahlreiche Juden in Deutschland. Für sie gelte es, eine positive gesellschaftliche Grundstimmung herzustellen, appellierte Schoenen: "Wir wollen jüdische Gemeinden und Mitmenschen haben."
Die Gedenkfeier begann traditionell mit der Kranzniederlegung auf dem jüdischen Friedhof. Sie kamen von den beiden Kirchen, dem Rat und der Verwaltung der Stadt Werther sowie der SPD.
Als besonderes Schlaglicht hielt im Laufe der Feier Alfred Spier von der jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld das jüdische Trauergebet "Kaddisch". Der evangelische Kirchenchor und der Posaunenchor Werther sorgten für die musikalische Untermalung.
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