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Bünder Tageblatt / Neue Westfälische , 05.11.2005 :

(Bünde) Geschichte nicht vergessen / Volles Gemeindehaus beim fünften deutsch-weißrussichen Kulturabend / Jüdischer Zeitzeuge erinnert sich

Von Kathrin Brinkmann

Bünde-Dünne. "Ich begrüße alle, die von nah und fern gekommen sind, um heute hier dabei zu sein. Das völlig überfüllte Gemeindehaus zeigt mir, dass es Menschen gibt, die an der Geschichte Interesse zeigen", begrüßte Jugendreferentin Ulrike Jaeger rund 200 Gäste, die zum 5. deutsch-weißrussischen Kulturabend im Dünner Gemeindehaus erschienen waren.

Acht Gäste aus Belarus sowie die deutschen Teilnehmer des Jugendworkcamps unter Ulrike Jaegers Leitung informierten die Anwesenden über den vorangegangenen Baueinsatz bei Kriegsüberlebenden in den Städten Ostrowlijani und Sirmisch (die NW berichtete) sowie über die Geschichte des jüdischen Zeitzeugen Jacob Shepetinski, der eigens zu diesem Treff von Israel nach Bünde gereist war, um das Ergebnis des Projektes zu sehen.

Pfarrer Carsten Fiefstück eröffnete das typisch russische Büfett, bestehend aus Pelmeni (mit Gehacktem gefüllte Nudeln), der Nationalsuppe Borscht, Tomatenbroten mit Knoblauch und vielen weiteren Spezialitäten. Umrahmt wurde der Abend von musikalischen Einlagen eines Celloquartetts sowie Klaviermusik.

Zuerst stellten die Jugendlichen ihr Projekt vor, das in Belarus bereits sehr bekannt ist. Sie präsentierten Bilder vom Einsatz auf den Baustellen, zu denen sie täglich eine Fahrt von 50 Kilometern in Kauf nehmen mussten. Die Innen- und Außenrenovierungen waren mit Schwierigkeiten verbunden. Ein 97-jähriger Kriegsüberlebender, der sich nicht allein bewegen konnte, musste während der Arbeiten mit einer Schubkarre in ein benachbartes Gebäude gebracht werden. Auch das Tapezieren war wegen der Schieflage der Hauswände mit erheblichem Aufwand verbunden.

Nachdem die Jugendlichen aus Belarus mit viel Humor eine Inszenierung zum Besten gegeben und einen russischen Tanz vorgeführt hatten, wurde der zweite Teil des Abends mit einem Lied eingeleitet, das eine Teilnehmerin des Jugendworkcamps für Jacob Shepetinski geschrieben hatte. Gerührt stimmten die Gäste in den Refrain des Liedes ein.

"Ich bin ein alter Mann mit einem schwachen Herzen. Das hier ist für mich gefährlich", bedankte sich Jacob schließlich für dieses persönliche Geschenk. Dann begannen die Jugendlichen, von ihrer Reise auf den Spuren Jacob Shepetinskis zu berichten. Dabei hatten sie innerhalb von zweieinhalb Tagen in einem 15 Jahre alten VW Bulli 1.150 Kilometer zurückgelegt, um zu den entscheidenden Stationen seines Lebensweges zu gelangen. "Von denen, die mit dabei waren, wird es niemand vergessen. Wenn wir nach 60 Jahren noch erreichen können, dass Leute von der schrecklichen Vergangenheit wachgerüttelt werden, dann ist das ein Gewinn für unsere Zukunft", begann Ulrike Jaeger die Präsentation.

Die Gruppe startete ihre Reise in Slonim, dem Heimatort Shepetinskis. "Wenn ich diese Bilder ansehe, erinnert mich das an meine Jugendzeit", berichtete der Zeitzeuge und fügte dann hinzu: "Aber alle meine Jugendfreunde sind nicht mehr da. Sie liegen in den Massengräbern, die Sie auf den Bildern sehen."

Jacob ist einer von elf Menschen, die lebend aus dem Massengrab Chepelowo kletterten, in dem insgesamt 30.000 Menschen ermordet wurden. In seinem Buch "Die Jacobsleiter" hat er seine Lebensgeschichte für die Nachwelt festgehalten. Trotz der schrecklichen Erinnerungen hat er seine Lebensfreude nicht verloren und ist nun aus Israel nach Deutschland gekommen, um zu verhindern, dass die Geschichte vergessen wird.

Zur Unterstützung waren die Freunde Manfred Zabel, Mitarbeiter des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks Dortmund und Minsk, sowie Heinz-Rudolf Othmerding von der dpa nach Dünne gekommen.

Nach Freilassung aus der zehnjährigen Gefangenschaft im Gulag ist Jacob Shepetinski noch einmal zu dem Ort zurück gekehrt, an dem er Familie und Freunde verloren hat. Er fand Knochen, die er symbolisch auf dem Friedhof in Tel Aviv beisetzte. Die Teilnehmer des Workcamps bekamen für ihre Arbeit alle ein Exemplar von Jacobs Buch mit hebräischer Signatur geschenkt. Ulrike Jaeger schloss den Abend mit den Worten: "Auch wenn wir mit unserem Einsatz nicht Alle erreichen können, so tun wir doch mehr als die meisten, nämlich unser Möglichstes. Leider können wir nichts ungeschehen machen. Alles, was uns geblieben ist, sind Zeichen der Versöhnung."

05./06.11.2005
lok-red.buende@neue-westfaelische.de

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