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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 22.11.2003 :

"Von Antisemitismus keine Spur" / Johannes Rogalla von Bieberstein: Die Entgegnung

Martin Hohmann (CDU) hat in seiner Rede zum Nationalfeiertag als Quellennachweis für seine Ausführungen über "jüdische Bolschewisten", die präzis als "nichtjüdische Juden" charakterisiert werden, mein Buch "Jüdischer Bolschewismus. Mythos und Realität" aufgeführt. Aus ihm hat er sich unbestreitbare Fakten geholt, für deren Auswahl, Arrangierung und Interpretation er allein verantwortlich ist. In meinem Schlussabsatz habe ich davor gewarnt, meine historischen Forschungen zur politischen Münze zu schlagen. Wert lege ich darauf, dass der Begriff "Tätervolk" wie andere Kollektivurteile als unzulässige Verallgemeinerung nicht verwendet wird. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, habe ich dargelegt, dass die Judenheit als Handlungseinheit überhaupt nicht existiert, und dass es neben der kleinen, aber spektakulär in Erscheinung getretenen Minderheit kommunistischer Juden absolut antikommunistisch eingestellte bürgerlich-liberale, sozialdemokratische, fromme und zionistische Juden gegeben hat.
Daher konnte Prof. Dr. jur. Konrad Löw am 28. Januar 2003 im Rheinischen Merkur urteilen, ich sei der mich beschäftigenden Grundfrage: "Woher kam Hitlers antijüdische Besessenheit?", "mit kaum überbietbarer Akkuratesse und vorbildlicher Sachlichkeit" nachgegangen. Wie Dritte bestätigen: Von einer antisemitischen Einstellung auf meiner Seite keine Spur.

Gleichwohl glaubten mit Verschwörertheorien liebäugelnde Autoren und politische Eiferer, mich als Hintermann und Stichwortgeber von Hohmann, ja, sogar als "Brandstifter" entlarven zu können. Dabei stellt der unvoreingenommene Leser fest, dass meine Sympathie den jüdischen Sozialdemokraten gilt, die unter der Geißel des Antisemitismus gelitten haben. Meine Kritik richtet sich aber gegen die bolschewikischen "Pogromsozialisten", welcher Herkunft auch immer. So hat sie der aus Russland stammende jüdische Freund von Lenin, Parvus Helphand, der nach 1917 als Sozialdemokrat in Berlin lebte, nach der Aufrichtung des roten Terrorregimes genannt.

"Ich wurde aus Böswilligkeit an den Pranger gestellt"

Um Martin Hohmann zu diskreditieren, erklärten vom Jagdfieber ergriffene Spiegel-Journalisten meine gründliche Untersuchung flugs zum "unausgegorenen Machwerk". Außerdem erhoben sie die Beschuldigung, ich würde "wie die Nazis" auch atheistische und christlich getaufte Menschen jüdischer Herkunft als Juden bezeichnen. Dabei lege ich dar, dass nach jüdischem Verständnis der Sohn oder die Tochter einer jüdischen Mutter Jude ist. Sogar Eleonore Marx, die Tochter des "Taufjuden" Karl Marx, hat sich als "deutsche Jüdin" bezeichnet, obwohl sie eine christliche Mutter hatte.

Wenn bei manchen Journalisten das Bedürfnis, einen Skandal aufzudecken, nicht die Neugier und die Sorgfaltspflicht verdrängte, würden sie bemerkt haben, dass nach ihrer Definition auch jüdische Lexika wie die "Encyclopedia Judaica" als "nazistisch" bezeichnet werden müssten. Denn diese berücksichtigen ausdrücklich auch getaufte Juden und atheistisch-kommunistische Juden. Nach ihrer inkompetenten "konfessionellen" Definition dürfte sich der Pariser Kardinal Lustiger nicht als Katholik und Jude, d. h. als Angehöriger des jüdischen Volkes bezeichnen. Auch hätte es nach diesem Kriterium in den kommunistischen Parteien Sowjetrusslands, Polens und Frankreichs, die einem auch gegen das religiöse Judentum gerichteten "kriegerischen Atheismus" verpflichtet waren, nach 1917 keine "jüdische Sektionen" geben dürfen. Somit bin ich gleich Hohmann aus Unwissenheit und/oder Böswilligkeit als "Antisemit" angeprangert worden.

"Geschichtsmächtige Minderheit trägt Mitverantwortung"

Dadurch, dass ich mir erlaubt habe, auf umsichtige Weise über ein heikles Thema zu sprechen, bin ich von solchen Tabuwächtern, welche die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit einzuschränken suchen, abgeurteilt worden. Im Rahmen der Anschwärzung meiner Person scheute man nicht davor zurück, mir eine "mittelmäßige" Doktorarbeit nachzusagen. Dabei habe ich für diese ein "magna cum laude" erhalten. Meine "These von der Verschwörung 1776-1945" wird noch heute verkauft und in der Fachliteratur zu Rechtsradikalismus und Antisemitismus als Standardwerk genannt.

Der mich mit angeblichen "Brandstiftern" in Verbindung bringende Artikel zielt auch dadurch unter die Gürtellinie, als er überflüssigerweise - überdies zum Teil falsche! - Angaben über mein Gehalt machte und mich überdies als "Sonderling" an den Pranger zu stellen suchte. Fassungslos machte es viele, dass in diesem Artikel ein Professor Spekulationen über meine Körperhaltung vortragen zu dürfen glaubte.

Zu dem Artikel "Streit an der Uni um Bieberstein" stelle ich richtig, dass er den falschen Eindruck erweckt, ich würde unterschlagen, dass es vor der Oktoberrevolution in Russland Antisemitismus gegeben habe. Ganz im Gegenteil stelle ich als Osteuropahistoriker ausführlich den "Antisemitismus der Faust" im Zarenreich dar, der sehr viele Juden aus Verzweiflung zu Sozialisten werden ließ. Denn vom Sozialismus erhofften sie sich, dass er zum "Arzt des Antisemitismus" werden möge.

Meine Haupthese stammt im Übrigen vom jüdischen Literaturnobelpreisträger Isaak B. Singer. Nach ihm "erzeugt" Antisemitismus Kommunismus. Seine "Teufelskreis"-These, die von der Spezialforschung erhärtet wird, gibt den Mechanismus der Radikalisierung, das gegenseitige Hochschaukeln von roter und weißer sowie brauner Terrorherrschaft, am besten wieder. Sie beinhaltet, dass der einstmals militant weltrevolutionäre, den "Klassenfeind" vernichtende Kommunismus einen "zehnmal, ja, hundertmal stärkeren Antisemitismus" erzeugt hat. Deshalb sprachen nach 1917/18 gerade auch Juden von einem "neuen", und zwar mörderischen Antisemitismus. Dieser sattelte auf dem "alten" Antijudaismus und Antisemitismus gleichsam auf.

Bei unserem Thema, das nach dem Jerusalemer Historiker Jakob Talmon "explosiv" ist, wird leicht hochemotional reagiert: Es hat nämlich tatsächlich viele einflussreiche jüdische Bolschewiken gegeben. Ich habe mich entschieden dagegen verwahrt, im Bolschewismus dieser Leute so etwas wie ein "jüdisches Wesen" zu erkennen oder sie gar als vermeintliche Agenten des Judentums auszugeben. Dies haben freilich von mir als solche bewertete Verschwörungstheoretiker wie Henry Ford oder Adolf Hitler getan.

Unbestreitbar ist, dass nach von mir sorgfältig dokumentierten selbstkritischen jüdischen Stimmen zwar keineswegs "die Juden", jedoch eine geschichtsmächtig gewordene jüdische Minderheit eine Mitverantwortung für das rote Regime trägt. Deshalb hat der berühmte, von den Nationalsozialisten ermordete Verfasser der "Weltgeschichte des jüdischen Volkes", Simon Dubnow, von einer "furchtbaren Schuld" gesprochen, mit der "sich Juden durch ihre Beteiligung am Bolschewismus" beladen hätten. Obgleich also die Hassformel vom "jüdischen Bolschewismus" verlogen und bösartig ist, haben sich doch Rabbiner veranlasst gesehen, jüdische Extremisten wie Leo Trotzki aus der Gemeinde auszustoßen. Da also das Schlagwort vom "jüdischen Bolschewismus" - wie die jüdische englische Historikerin Sharman Kadis 1992 urteilte - ein von Antisemiten boshaft-verzerrt wiedergegebenes "element of truth" enthält, muss mit ihm vorsichtig und verantwortungsvoll umgegangen werden.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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