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Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 04.11.2005 :

(Löhne) Raus aus dem eigenen Haus / Gertrud Schlussas erlebte die Nachkriegszeit in Mennighüffen als 14-Jährige

Von Meiko Haselhorst

Löhne. "Als die Panzer im April 1945 über die Lübbecker Straße donnerten, wussten wir überhaupt nicht, was uns erwarten würde", beginnt Gertrud Schlussas, geborene Sundermeier, ihre Erinnerungen ans Kriegsende. Die Familienmitglieder zogen sich vorsichtshalber drei Pullover und Röcke über und versteckten die Vorräte. "Wir dachten, die Soldaten könnten uns alles wegnehmen", kommentiert sie die Ängste der Familie an jenem Tag.

Letztere erwiesen sich als unbegründet: "Die kamen zwar rein und durchsuchten alles, waren aber nur auf der Suche nach versteckten Waffen oder Soldaten", macht Schlussas deutlich, dass Zivilisten in jenen ersten Friedenstagen nichts mehr zu befürchten hatten.

Einige Wochen später machte die Mennighüffener Familie dennoch unerfreuliche Bekanntschaft mit einigen belgischen Besatzern: "Die kamen in die Wohnung und gaben uns zwei Stunden, um unser Hab und Gut zusammenzuklauben und unser damaliges Haus im Trappenfeld zu verlassen", erinnert sich die 74-Jährige.

Die Sundermeiers sammelten die nötigsten Dinge zusammen und schmissen alles aus dem Fenster, wo es von einigen helfenden Nachbarn in Sicherheit gebracht wurde. "Tische, Schränke und Sitzmöbel mussten wir aber den Soldaten überlassen", so Schlussas. Die Nachbarn halfen der obdachlos gewordenen Familie aus dieser prekären Situation, indem sie die Sundermeiers bei ihnen einziehen ließ.
Mit den Belgiern entwickelte sich übrigens noch ein ganz nettes Verhältnis: "Nicht zuletzt, weil meine Mutter den Soldaten regelmäßig die Wäsche wusch, versorgten diese uns mit Fleisch, Brot und Schokolade", erinnert sich Schlussas. Mit den deutschen Soldaten, die im Tausch mit den Belgiern etwas später ins Haus zogen, war das Zusammenleben weniger schön. "Die behandelten uns wie den letzten Dreck", erzählt die Mennighüfferin, "machten uns immer wieder klar, dass wir im Haus gar nichts zu melden hätten".

Der Rauswurf aus dem eigenen Haus war ohne Zweifel der härteste Schlag, den Schlussas in der Zeit nach dem Krieg erleben musste. An Hunger und Kälte litt die Familie Sundermeier damals nicht: Wie die meisten Leute hielten sie ein Schwein, das sie mit dem Korn fütterten, welches sie beim Ährenlesen auf dem Feld einsammelten. "So ein Tier war rentabler als die Wertmarken, auf die wir als Schweinebesitzer dann allerdings verzichten mussten", findet die 74-Jährige.

Ein weiterer Vorteil war, dass der Vater der damals 14-Jährigen als Straßenwärter bei der Stadt arbeitete: "Die Obstbäume, die Löhnes Straßen säumten, betrachtete mein Vater quasi als sein Eigentum. So wurde unser Speiseplan öfters durch Äpfel, Birnen und Pflaumen bereichert", erinnert sich Schlussas. Abgesehen davon brachte der Vater auch häufig Brennholz mit nach Hause, das von gefällten Löhner Bäumen stammte. "Das Geld brauchten wir schon mal nicht mehr für Kohle ausgeben", erläutert Schlussas den großen Vorteil, der sich aus der Arbeitsstelle des Vaters ergab.

Bis auf das Verlassen der eigenen Wohnung hat Frau Schlussas die Zeit nach Kriegsende nicht als sonderlich traurig in Erinnerung: "Als Heranwachsende empfindet man wohl viele Dinge als abenteuerlich, während die Erwachsenen eher die Tragik sehen", resümiert die Mennighüfferin.


lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

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