Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische ,
04.11.2005 :
Wo einst Juden lebten und arbeiteten / "Weg der Erinnerung" führt über fünf Stationen / Schüler stellen vier Familien aus Lübbecke vor
Von Kerstin Kornfeld
Lübbecke. Meta Weinberg kannte sich aus mit Trachten, ihr Wissen und ihre Ware wurden gleichermaßen geschätzt – nicht nur in Lübbecke. Betrat eine Kundin das Kurzwarengeschäft an der Langen Straße 40 - 42, sah die Kauffrau ihrer Kleidung an, woher die Frau kam. Und wenn sie nicht hinschaute, hörte sie es doch: Meta Weinberg konnte der Mundart entnehmen, aus welchem Dorf die Kundin stammte: Frotheim oder Holzhausen, Hüllhorst, Unterlübbe oder vielleicht auch Obermehnen.
Doch dann, 1933 oder vielleicht war es auch erst 1934, warteten eines Tages keine Kundinnen vor dem Geschäft der Familie Weinberg. Denn dort stand breitbeinig ein SA-Mann mit einem Plakat in Händen. "Deutsche kauft in deutschen Geschäften, wer im jüdischen Warenhaus kauft, versündigt sich am deutschen Volke", war dort zu lesen. Nicht einmal zehn Jahre später war Meta Weinberg tot – vergast in Auschwitz. Sie wurde 54.
Wenig erinnert an die jüdischen Kaufleute, die einst in Lübbecke wohnten und handelten, sich in Vereinen engagierten, die Kultur mit Leben erfüllten oder ihre Söhne in den millionenfachen Tod bringenden Krieg mit den Franzosen schickten. Am Mittwoch, 9. November, führt der "Weg der Erinnerung" über fünf Stationen in Lübbecke, die an diese jüdischen Kaufmannsfamilien erinnern.
Die schon traditionelle Veranstaltung am Abend der Reichspogromnacht soll an die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Lübbecker erinnern. Mitwirkende sind auch in diesem Jahr der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die ev.-luth. und die kath. Kirchengemeinden Lübbecke, Ortsheimatpfleger und Zeitzeuge Günter Niedringhaus, die Stadtverwaltung sowie Pestalozzischule und Wittekind-Gymnasium.
"Wo einmal Juden wohnten und arbeiteten" und "Wie ein Jude heute lebt und arbeitet" ist Thema des Abends. Um 18 Uhr treffen sich die Mitwirkenden auf dem Markplatz, Gäste sind ausdrücklich willkommen.
Jungen und Mädchen der beiden beteiligten Schulen stellen vier Familien vor: mit Plakaten, die Fotos und Kurzbiographien von jüdischen Lübbeckern zeigen, und mit historischen Bildern aus dem Stadtarchiv, die auf die Mauer des Burgmannshof projiziert werden. Die Quellen haben die Schüler erarbeitet und Familiengeschichten bis ins 19. Jahrhundert zurück verfolgt.
Dann geht es weiter den Scharrn hinunter zur zweiten Station, der früheren Schlachterei Mansbach, heute Przytulla. Dritter Anlaufpunkt ist die Lange Straße, wo einst die Geschäfte der Familien Löwenstein (heute Kolck) und Weinberg (heute Tantius und Home Store) standen.
Jüdische Musik und Lyrik im Gewölbekeller
Gegen 18.45 Uhr machen die Menschen auf dem "Weg der Erinnerung" dann Halt am Platz der Synagoge, der vierten Station. Dort legt der DGB einen Kranz nieder, und Gewerkschaftssekretär Harald Scheurenberg, Mitglied der jüdischen Gemeinde Minden, hält die Ansprache. Er schildert, wie ein deutscher Jude heute in einem Land lebt und arbeitet, das vor 60 Jahren seine andersgläubigen Mitbürger vertrieb und ermordete.
Fünfte und letzte Station ist der Gewölbekeller der Kanzlei Wittemöller an der Ostertorstraße, der heute den Lübbecker Jazzclub beherbergt. Früher lebte dort die Familie Hecht. Ab 19.15 Uhr sind dort jüdische Musik und Lyrik zu hören, dargeboten von Heinz Hermann Grube und Anja Vehling.
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