Bielefelder Tageblatt (MO) / Neue Westfälische ,
31.10.2005 :
(Bielefeld) Schulalltag zwischen Trümmern / Luisenschülerinnen besuchen nach über 60 Jahren ihre alte Lehranstalt
Mitte (sol). Der 30. September 1944 war Lieselotte Kleys letzter Schultag in der Luisenschule. Vormittags hatten sie und ihre Mitschülerinnen noch Unterricht, wenige Stunden später brannte das Gebäude. Der große Fliegerangriff auf Bielefeld hatte die Schule und ihre Umgebung weitgehend zerstört.
Jetzt haben die Schülerinnen ihre alte Schule wiedergesehen – genau 60 Jahre nach ihrem Realschulabschluss, den sie schließlich in der Sareptaschule in Bethel erwarben. Ein ganz normales Jahrgangstreffen einer Mädchenschule – mit einem Jahrgang, dessen Lebensumstände alles andere als normal waren.
"Nur die ersten Monate verliefen im normalen Schulalltag", erinnert sich Lieselotte Kley. Dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Schnell veränderte sich die Lehrerschaft, da viele Männer zum Kriegsdienst einberufen wurden. Es folgten Rot-Kreuz-Kurse und ständige Alarmübungen für den Fall eines Luftangriffs. Schließlich wurden Splittergräben auf dem Schulhof ausgehoben. Trotz der Hindernisse hat Lieselotte Kley eine gute Erinnerung an diese Zeit. Vor allem vom Unterricht war sie fasziniert: "Nur wenige unserer Lehrer wollten die Schüler politisch beeinflussen. Es wurde immer darauf geachtet, dass wir nicht indoktriniert werden." Allein der Geschichtslehrer sei ein Nazi gewesen: "Da wurden Päpste verteufelt. Aber das musste man durchhalten." 1943 wurde die Luisenschule geschlossen, da die Lage in Bielefeld zu unsicher geworden war. Es begann die Zeit der "Kinderlandverschickungen", die Schülerinnen wurden in einem so genannten KLV-Lager im damals deutschen Kaprun (heute Österreich) unterrichtet, einem relativ sicherem Gebiet. "Dort hatten wir eine verhältnismäßig schöne und ruhige Zeit", erinnert sich Kley. "Unsere Lehrkräfte gaben uns viel Freiräume, so dass wir uns vom Krieg nicht ständig bedroht fühlten." Das änderte sich schlagartig im Sommer 1944, als die Schülerinnen wieder nach Bielefeld mussten. "Kaum in der Heimat angekommen, mussten wir bereits im Bahnhofsbunker Schutz suchen." Nur kurz besuchten sie ihre alte Schule, dann wurde diese zerstört. "Anschließend betraten wir die Luisenschule nur noch zum Aufräumen." Die letzten Monate wurden Kley und ihre Mitschülerinnen in Bethel unterrichtet. Am Gründonnerstag des Jahres 1945 erhielten sie ihre Abschlusszeugnisse. Drei Tage später wurde Bielefeld von den Amerikanern befreit. 60 Jahre später kann sie ihrer Schulzeit viel Positives abgewinnen: "Die Zeit im KLV-Lager führte bei uns zu engen Bindungen. Aber ich wünsche mir, dass dieses Gebäude nicht noch mal gewaltsam zerstört wird."
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