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Kulturinitiative Detmold e.V. , 28.10.2005 :

Bielefelder Staatsschutz kriminalisiert Engagement für Flüchtlinge / Hintergrundinformationen zum "Solidaritäts-Konzert Rock gegen Rechts – Bleiberecht für Flüchtlinge!" in der alten Pauline

Am 3. Oktober haben mehr als 60 Angehörige aus Flüchtlingsinitiativen das Hermannsdenkmal symbolisch besetzt. Gegen 14 Uhr entrollten sie ein 15 Meter langes Transparent mit der Aufschrift "Abschiebungen stoppen!" über den Sockel des Denkmals.

Das "Bündnis gegen Abschiebungen OWL", das zu der Aktion aufgerufen hatte, nahm in einem an die Besucherinnen und Besucher verteilten Flugblatt auf das Datum der symbolischen Besetzung Bezug: Der 3. Oktober - der Tag der Deutschen Einheit - sei zu einem verhängnisvollen Tag für die Menschen ohne deutschen Pass geworden, seit der Öffnung der innerdeutschen Grenze würden die Außengrenzen für Flüchtlinge abgeschottet.

Die Folgen der Abschottungspolitik machen sich jetzt schon überdeutlich bemerkbar: So sank die Zahl der Asylgesuche in Deutschland binnen weniger Jahre um 2/3 auf einen historischen Tiefststand von nicht einmal mehr 30.000 Asylsuchenden pro Jahr. Das ist allerdings nicht darauf zurückzuführen, dass es weltweit weniger Flüchtlinge gäbe, sie schaffen es bloß nicht mehr bis nach Deutschland zu kommen.

Die gelungene symbolische Besetzung des Hermannsdenkmals am 3. Oktober war ein Protest gegen diese menschenverachtende Abschottungspolitik und die öffentlich erhobene Forderung, den Menschen in Not die Fluchtwege zu eröffnen, die sie brauchen.

Die Aktion wurde von vielen unterschiedlichen Menschen aus Ostwestfalen-Lippe (OWL) getragen, da sich in dieser Region die Situation in mehrfacher Hinsicht dramatisch zuspitzt:

- Der (Männer-) Abschiebeknast in Büren bereitet sich aktuell darauf vor, nächstes Jahr auch Frauen aufzunehmen, die "Frauenabschiebehaftanstalt" in Neuss wird definitiv 2006 geschlossen. Zur Zeit werden in Büren deshalb ein Hafthaus ausgelagert und "Arbeitsbetriebe" ausgebaut. Darüber hinaus verhandelt das Land NRW seit längerem mit Hessen darüber, weitere (männliche) Gefangene in Büren aufzunehmen, die zur Zeit in der JVA Darmstadt inhaftiert sind.
- Die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) in Bielefeld ist dazu übergegangen, bei Asylfolgeanträgen regelmäßig Abschiebehaft durchzusetzen.
- Die Ausländerbehörde Detmold lässt zunehmend keine "freiwilligen Ausreisen" mehr zu und schiebt direkt ab.
- Sämtliche Ausländerämter in OWL haben die Gangart verschärft und bestreiten zunehmend ihre noch vorhandenen Ermessensspielräume.
- Es muss davon ausgegangen werden, dass aus OWL in diesem Jahr um die 5.000 Abschiebungen durchgeführt wurden beziehungsweise werden.

Und dies alles vor dem Hintergrund der auslaufenden finanziellen Förderung der Flüchtlings-Beratungsstellen (nicht nur) in OWL.

Der Vereinsvorstand des Trägervereins der alten Pauline ist wegen der Besetzung des Hermannsdenkmals zwischenzeitlich zur "zeugenschaftlichen Vernehmung" beim Staatsschutz geladen. Wenn die politische Abteilung des Polizeipräsidium Bielefeld diese symbolische Besetzung zum Vorwand nimmt, unliebsame politische Akteure auszuforschen und ein einfaches und unbegründetes Ermittlungsverfahren wegen einer angeblichen Straftat (gegen das Versammlungsgesetz) einzuleiten, halten wir dem entgegen:

Wir lassen uns nicht einschüchtern und stehen trotz der Vorladungen zu unseren antirassistischem Engagement, das seine Ursache in der staatlichen Abschiebungspolitik hat! In der alten Pauline wird es weiterhin z. B. Solidaritäts-Konzerte für von Abschiebung bedrohte Menschen - wie heute - oder Informations-Veranstaltungen über (staatlichen) Rassismus und andere solidarische Aktionen geben.

Wir müssen nicht nur in unserer Geschichte zurück gehen, um die Arbeitsweise des Bielefelder Staatsschutzes zu charakterisieren. Wir erinnern beispielsweise an die rechtswidrige Durchsuchung der alten Pauline im April 2001, als der ehemalige Kommandant der Polizei- und Durchgangslager Fossoli und Bozen in Italien, Karl Friedrich Titho, sich durch die Bezeichnung "Nazi-Mörder" beleidigt fühlte (aus diesen beiden Lagern wurden wenigstens 3.198 Jüdinnen und Juden sowie mindestens 2.470 politische Gefangene in die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Mauthausen und Ravensbrück deportiert).

Aufgrund dieser offensichtlich tendenziösen Untersuchungen und wegen weiterer Provokationen seitens des Staatsschutzes gegen die alte Pauline und ihre Vereinsmitglieder haben wir im September 2001 beschlossen, nicht mit dem Staatsschutz zusammenzuarbeiten, als in der Nacht vom 14. auf den 15. (20-jähriges Bestehen des autonomen Kultur- und Kommunikationszentrums) u. a. die Detmolder Neonazis Tobias Thomas Budde und Sven Dickmann die Pauline angriffen und einen Menschen mit einer Holzlatte bewusstlos schlugen.

Weitere Ermittlungsverfahren gegen Vereinsmitglieder (die sämtlich eingestellt wurden), zum Beispiel wegen Protesten gegen das rechtsextreme "Collegium Humanum" in Vlotho, machen überdeutlich, dass wenn es um Alt- und Neonazis geht, von dieser Behörde zunächst grundsätzlich jegliche Gefährdung gedeckelt, verschwiegen und verharmlost wird (jüngstes und aktuellstes Beispiel ist die wieder erstarkende Neonazi-Szene in Lemgo, die vom Staatsschutz als "marodierende Dumpfbacken" heruntergespielt wird). In fast allen Fällen wurde und wird abgewartet, bis der (Beweis-)Druck aus (antifaschistischer) Öffentlichkeitsarbeit so erdrückend ist, dass er nicht mehr ignoriert werden kann.

Schluss mit entwürdigen Lebenszuständen, rassistischen Sondergesetzen und Abschiebungen!
Bleiberecht für alle – jetzt sofort!
Sofortiges Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen der symbolischen Besetzung des Hermannsdenkmals!

Detmold, 28. Oktober 2005

Autonomes Kultur- und Kommunikationszentrum alte Pauline
Bielefelder Straße 3
32756 Detmold
Telefon: (05231) 20 101

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