Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische ,
26.10.2005 :
(Bielefeld) Kruses Kessel kocht noch / Kläger: "Stehen als Bürger vor juristischem Wust"
Bielefeld (cos). Als "Kruses Kinderkessel" machte der Polizeieinsatz am 24. April 1998 auf dem Siegfriedplatz Schlagzeilen: Etwa 150 in der Mehrzahl junge Demonstranten hatte die Polizei eingekesselt, und ein großer Teil der Eingekesselten verbrachte die Nacht in einer Polizeizelle. Horst Kruse ist seit Jahren nicht mehr Polizeipräsident, die Demonstranten sind längst erwachsen, aber der Kessel kocht nach siebeneinhalb Jahren immer noch. Gestern vor dem Amtsgericht endete eine Anhörung ohne Ergebnis. Weitere Verhandlungen werden folgen.
Nach sieben Jahren des Verhandelns prüft das Amtsgericht jetzt die Entscheidung eines Amtsrichters, der seinerzeit dem Polizeipräsidenten grünes Licht gegeben haben soll, die 150 Demonstranten festzusetzen. Danach soll entschieden werden, ob das Amts- oder das Landgericht die Angelegenheit weiter verfolgt. Die zahlreichen Vorwürfe der seinerzeit Festgenommenen gegen die Polizei sind in den Jahren des Prozessierens nicht thematisiert worden.
Bis zur Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Jahre 2003, die Festnahme der Demonstranten durch die Polizei sei rechtmäßig gewesen, ruhte der zweite Teil des Verfahrens beim Amtsgericht (oder ist absichtlich vergessen worden, wie einige Betroffene meinen). Nach dieser für die etwa 60 Kläger teuren Entscheidung (6.000 Euro insgesamt) klagen drei Eingekesselte weiter.
"Wir stehen als Bürger vor einem juristischen Wust, werden von A nach B, von einer Instanz zur nächsten geschickt, und niemand will zuständig sein", sagt Dieter Rahmann, einer der drei verbliebenen Kläger. Er ist entschlossen feststellen zu lassen, dass "die Polizei über die Stränge geschlagen hat".
Die Demonstranten protestierten gegen die ausschließlich kommerzielle Nutzung öffentlicher Flächen. Zu ihnen in den Polizeikessel und später in die Zelle gelangten außerdem einige Anwohner und Passanten. Stundenlang sei den Betroffenen bei der Polizei der Gang zur Toilette verweigert worden. Frauen hätten sich im Beisein von Polizisten ausziehen müssen, Wasser habe die Polizei den Gefangenen in Hundenäpfen serviert, erklärt Rahmann. "Ob das noch justiziabel ist" fragt sich derweil Hans-Jürgen Donath, Direktor des Amtsgerichts.
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