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Deister- und Weserzeitung , 26.10.2005 :

"Wir müssen Einwanderer am Leben teilhaben lassen" / Der Niedersächsische Integrationsrat kommt am Wochenende für zwei Tage im Pyrmonter Rathaus zusammen

Bad Pyrmont (jl). Seit 29 Jahren lebt Graziella Boaro-Titze in der Kurstadt. Aber noch immer gibt es Momente, in denen sie sich in Deutschland nicht so ganz zu Hause fühlt. Vor allem dann, wenn sie spürt, dass manche Menschen ihr wegen des Akzents noch immer mit Vorbehalten begegnen. Dabei ist die gebürtige Italienerin, die sowohl die deutsche als auch die Staatsbürgerschaft ihres Herkunftslandes besitzt, hier so gut integriert wie nur wenige Menschen ausländischer Herkunft. Aber: "Ich werde immer die Italienerin bleiben."

Seit Jahren engagiert sich die studierte Lehrerin, die im Service-Bereich der DAK-Fachklinik arbeitet, ehrenamtlich im Integrationsrat der Stadt. Dem Niedersächsischen Integrationsrat (NIR) steht sie zudem seit zwei Jahren vor. So haben sie und die weiteren Mitglieder des Pyrmonter Gremiums es diesmal nicht weit, wenn sie am Samstag mit den anderen Delegierten aus insgesamt 18 niedersächsischen Kommunen zur 74. Plenarsitzung des NIR im Rathaus der Kurstadt zusammenkommen - übrigens der ersten seit 15 Jahren in Bad Pyrmont.

Der Landes-Integrationsrat setzt sich zusammen aus gewählten Vertreterinnen und Vertretern kommunaler Integrations- und Migrationsbeiräte sowie Ausländervertretungen in ganz Niedersachsen. "Wir sind das einzige durch Wahl legitimierte Vertretungsorgan der zugewanderten Bevölkerung." Unter anderem setzen sich die Integrationsräte für die Belange er Zuwanderer gegenüber dem Landtag und der Landesregierung ein. "Ziel ist die politische, rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Angehörigen nationaler und ethnischer Minderheiten, die ihren Lebensmittelpunkt hier haben, mit der deutschen Bevölkerung."

Um wirklich etwas erreichen zu können, sind Graziellas Boaro-Titze und ihre Mitstreiter auf Unterstützung aus der Politik angewiesen. Deshalb hoffen sie auch darauf, dass die Bundestagsabgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) aus Hameln kommt. Denn CDU-MdL Ursula Körtner hat schon abgesagt. Doch Landrat Rüdiger Butte und Bürgermeister Klaus-Henning Demuth werden dabeisein.

"Eines der für uns wichtigsten Themen kann nur auf Bundesebene entschieden werden," weiß die NIR-Vorsitzende, die damit das Kommunalwahlrecht auch für Menschen aus Nicht-EU-Ländern meint. Boaro-Titze nennt ein Beispiel: "Türken, die hier geboren sind, aber die türkische Staatsangehörigkeit haben, dürfen nicht wählen." Anders als in den Niederlanden oder Schweden. Dort habe das Kommunal-Wahlrecht, wer fünf Jahre im Lande sei.

Allerdings sind den Integrationsräten die Hände gebunden. "Wir können nur auf Probleme aufmerksam machen. Aber wir haben nicht die Möglichkeit, selbst direkt etwas zu erreichen", weiß Boaro-Titze, die sich schon manches Mal gefragt hat: "Was bewegen wir überhaupt?" Denn im Grunde werde seit Jahren ständig über die gleichenSachen diskutiert.

Und doch sieht sie die Notwendigkeit. Denn: "Unsere Zukunft liegt auch in den Händen der Leute, die hier einreisen." Integration - nicht zu verwechseln mit bedingungsloser Assimilation - müsse die Menschen möglichst früh auffangen und am Leben teilhaben lassen - "am besten schon im Kindergarten". Tatsächlich aber würden gerade viele ausländische Familien sich selbst überlassen. "Die Stadt hat nicht einmal einen Sozialarbeiter", kritisiert Boaro-Titze. Und warnt: "Wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, können wir nichts mehr retten."


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