Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische ,
25.10.2005 :
(Bielefeld) Mit Mutterkreuz in die Rüstungsindustrie / Marienschülerinnen bei Geschichtswettbewerb erfolgreich
Von Thomas Güntter
Schildesche. "Der Preis kam völlig unerwartet", sagt Janieta Jesuthasan (18). Sie und ihre Freundin Rebecca Steffen (18) aus der Jahrgangsstufe 13 der Marienschule der Ursulinen in Schildesche gewannen beim Geschichtswettbewerb 2004/2005 um den Preis der Körberstiftung. Ihr 4. Platz ist mit 250 Euro dotiert. Damit schnitten die beiden Frauen des Schildescher Gymnasiums von allen 26 Bielefelder Schülern am besten ab.
Das Oberthema der Arbeit lautete "Sich regen bringt Segen?". Nach Abschluss ihrer Studien ersetzten die beiden Frauen das Frage- durch ein Ausrufungszeichen. Denn sie befassten sich mit Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie befragten insgesamt fünfzehn Zeitzeuginnen nach ihrem Arbeitseinsatz im und nach dem Krieg. Beeindruckt waren die Schülerinnen von der Offenheit der befragten Frauen, alle im Alter zwischen 70 und 80 Jahren.
Während in den Zwanzigern das Ideal der Frau, die emanzipierte und selbstständige Gefährtin war, drehten die Nazis das Rad zurück und beschränkten die Frau auf die Rolle der Mutter. Der Muttertag wurde in jedem Jahr demonstrativ zelebriert, seit 1939 verliehen die braunen Machthaber das Mutterkreuz an kinderreiche Frauen. Der propagierte Mutterkult verfolgte zwei Ziele, zum einen stieg die Anzahl der Babys und damit – auf mittlere Sicht – die der Soldaten. Zum anderen gaben viele Frauen ihre Erwerbstätigkeit auf. Somit entstanden Arbeitsplätze für die zuvor arbeitslosen Männer.
Der Krieg drehte die Ziele um, denn plötzlich fehlten die Männer – gerade in der Rüstungsindustrie. Frauen mussten ihre Position einnehmen. Eine Zeitzeugin, die ihren Namen nicht nennen wollte, über ihre Erfahrungen in der Rüstung: "Ich wurde ab Oktober 1941 für die Rüstungsindustrie dienstverpflichtet in der Betriebsbuchhaltung." Frauen verdienten einen kläglichen Lohn. Männer bekamen für die gleiche Arbeit mehr Geld.
Die Bielefelderin Ilse Flottmann, geboren 1925, schildert ihre Empfindungen bei Kriegsende: "Wir waren erleichtert darüber, dass die Bombardierungen aufhörten und man nicht ständig damit rechnen musste selbst unter Trümmern begraben zu werden. Außerdem hatte die Furcht ein Ende, dass man eine Mitteilung bekam, dass ein Freund oder Verwandter den Heldentods gestorben sei. Dem gegenüber stand das panische Entsetzen, nun das Heiligste, das Vaterland vernichtet zu sehen, ausgeliefert dem bösen Feind auf Gnade oder Ungnade."
Eva Badock, geboren 1936 in Leipzig, erlebte das Kriegsende als junges Mädchen: "Ich muss sagen, dass wohl jeder froh war, dass der Mord aufhörte! Auf alle Fälle waren viele auch enttäuscht, da sie zuerst an alles geglaubt hatten und praktisch reingefallen waren. Meine Mutter hat jedenfalls nie wieder auf die Politik gehört." Nach dem Krieg mussten die Frauen wieder ran. Denn sie räumten das weg, was Männer zerstört hatten – als Trümmerfrauen.
Janieta und Rebecca kommen zu dem Schluss: "In den ersten Nachkriegsjahren arbeiteten die Frauen meist aus Not, nicht aus Neigung." Sicher gab es auch Frauen in typischen Frauenberufen wie Gisela Schütze, die ab 1947 als Buchhalterin bei der Freien Presse (eine der Vorgängerzeitungen der Neuen Westfälischen) arbeitete. Aber für viele galt: Frauen waren die Reservearmee des Arbeitsmarktes. Und als die Männer zurück kamen, mussten die meisten Frauen zurück treten.
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