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Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 20.10.2005 :

(Löhne) Glücklich trotz Graupen / Alt-Bürgermeister Werner Hamel erlebte das erste Nachkriegsjahr als Fünfjähriger

Von Meiko Haselhorst

Löhne. "Die Rückblicke eines Fünfjährigen sind natürlich nicht zu vergleichen mit denen eines 30-Jährigen. Als Kind empfindet man viele Dinge noch nicht als so tragisch, wie sie eigentlich sind", erklärt Werner Hamel, wenn er nach seinen persönlichen Erinnerungen in Zusammenhang mit der Nachkriegszeit befragt wird. Der Löhner Alt-Bürgermeister fügt hinzu: "Ich kann mein Gedächtnis auch nicht mit Fotos auffrischen, weil meine Mutter unsere "Leica" damals gegen eine neue Fahrradbereifung eingetauscht hat."

Werner Hamels imaginäre Zeitreise ins Jahr 1945 beginnt in den Tagen der amerikanischen Besatzungszeit: "Ich kann mich noch genau erinnern, als wir Kinder mit unserer Nachbarin Schlammkohle aus der heutigen Bäckerei Sieveking holen sollten. Auf einmal kamen uns auf der Bergkirchener Straße Panzer und Lastwagen entgegen und aus einem Fenster schaute mich ein farbiger Soldat an. Meine erste Begegnung mit einem Schwarzen und gleichzeitig ein echter Schock", berichtet der Besebrucher.

Erschrocken hat sich der damals Fünfjährige umso mehr, weil besagter Soldat der kleinen Gruppe etwas in den Bollerwagen warf. "Wir Kinder dachten, es sei eine Eier-Handgranate und sprangen sofort in den Graben, der im April natürlich reichlich kaltes Wasser führte. Zu unserem Erstaunen wühlte unsere Nachbarin aber mit hochgekrempelten Ärmeln in der Kohle und holte etwas Oranges aus der grauen Masse", dokumentiert Werner Hamel die Geschehnisse an jenem Tag.

Das Orangefarbene trug den Namen "Apfelsine" und der unerfahrene Feinschmecker Werner Hamel biss bereits auf dem Rückweg in die ungeschälte Frucht. Zu schätzen lernte er sie erst, als seine Mutter ihm das exotische Ding mundgerecht zubereitete. Sie kannte Apfelsinen noch aus der Vorkriegszeit. "Farbige waren von jenem Tag an ganz tolle Menschen für mich", meint Werner Hamel und schmunzelt.

Exotische Leckerbissen blieben auf dem Küchentisch der Familie Hamel aber eine Randerscheinung: "Meistens gab es Graupeneintopf, den ich wirklich hasste", erzählt der 65-Jährige mit einem angewiderten Gesichtsausdruck.

"Vor einigen Jahren habe ich als Bürgermeister in einem jüdischen Restaurant in Krakau mal Kohlroulade bestellt, die zu meinem Leidwesen mit Graupen gefüllt war. Ich habe sie nicht herunterbekommen", macht Hamel deutlich, dass der damalige dick gekochte Eintopf einen bleibenden Eindruck auf ihn gemacht hat.

Jenseits der kulinarischen Tristesse und Eintönigkeit empfand der Löhner seine Kindheit aber als ausgesprochen spannend: "Mein Vater war bis 1949 in Kriegsgefangenschaft. So war mein Opa eine Art Vaterfigur für mich. Noch in bester Erinnerung sind mir die ausgedehnten Spaziergänge mit ihm, die mich zu einem echten Naturfreund machten. Ich weiss auch noch, dass ich ihn immer um ein wenig Kautabak angebettelt habe, weil ich so sein wollte wie er", erinnert sich Hamel, "gemocht hab’ ich’ s aber nicht".

Was der Großvater auf keinen Fall wissen durfte, waren Klein-Werners Ausflüge in außer Acht gelassene Autos der englischen Soldaten: "Die haben wir Kinder natürlich regelmäßig durchstöbert. Meistens fanden wir in den Handschuhfächern Zigaretten", berichtet Werner Hamel.

"Meine Mutter hätte mit diesen Funden natürlich regen Tauschhandel betreiben können, aber als Dieb hätte ich wahrscheinlich Prügel bekommen und so rauchten wir die Zigaretten eben selbst", begründet Hamel die frühen Anfänge eines Lasters, das ihn noch lange verfolgen sollte.

Der Besebrucher findet, dass er im Löhne der Nachkriegsjahre eine rundherum glückliche Kindheit verlebt hat. "Bis auf die Graupen. Die will ich wirklich nie wieder essen", sagt der ehemalige Stadtvater und lacht.


lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

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