Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische ,
18.10.2005 :
(Bielefeld) Ein Fall für die Gewerkschaft / "Talco", "Commandantes" und "Billy No Mates" im AJZ
Von Rainer Schmidt
Bielefeld. Schaut aus, als müsste das AJZ auf seine Einweihung als Swingpodium noch warten. Die "Fat Cats" aus London, die als Vertreter der jazzigen Gangart angekündigt sind, haben abgesagt. Auflösungserscheinungen, Managementprobleme. Man liest, dass sie nach einer UK-Tour ihre Ohren und Lebern schonen müssen.
Egal, den Auftakt macht ohnehin "Talco", eine italienische Ska/Punkband, und die klingt richtig gut, obwohl die Bläsersektion auf eine einsame, tapfer schmetternde Trompete dezimiert ist. Die Menge kommt rasch in Bewegung zu den zackigen Offbeat-Rhythmen der Band, die Humor beweist mit Intros im Walzertakt und Adaptionen von russischen Volksliedern, dabei auf Italienisch und vermutlich Englisch klassenkämpferische Texte skandiert und trotz eifrigsten Auf-der-Stelle-Hüpfens instrumental nicht aus dem Tritt kommt. Nach einem frenetisch-zügigen "Bella Ciao" haben die fünf ihr Publikum so im Griff, dass es lautstark nach Zugabe verlangt. Was für ein Auftakt!
Es folgt eine Aufforderung vom Band: "Nehmt die Gewehre zur Hand" und die Bielefelder "Commandantes" schultern die Gitarren. Das Quintett ist ausgezogen, das Genre "Arbeiterkampflied" mit kernig-rockiger Begleitung zu beleben. Mit weit ausholenden Bewegungen signalisiert Sänger Lahs Kraft und Überzeugung, greift immer wieder eine Handvoll Luft, stellvertretend für die Aufmerksamkeit der Zuhörer, und zieht sie zu sich hin. Dazu hängt sich die Kapelle richtig rein, mit der Standfestigkeit des Punks, Abstechern in Ska und Reggae und macht sichtbar, dass jemand, der für die "Arbeitereinheitsfront" im "Roten Wedding" auf die Barrikaden geht, Musik als Arbeit zelebrieren darf.
Obwohl die Arbeit langsam mal abgeschafft gehört, soll sich bessere Laune im Land einstellen. Es gibt zum Abschluss gereckte Fäuste bei einem noch schnelleren "Bella Ciao" mit Beteiligung zweier "Talco"-Genossen, die die "Commandantes" mit ihrer Band noch für zwei weitere Auftritte am Wochenende begleiten werden.
Anschließend großer Umbau für "Billy No Mates", das Soloprojekt von Duncan Redmonds, der mit der Band "Snuff" zu den alten Kämpen des "Melodic Punk" gehört. Damit ist nicht dieses kalifornische Gebratze mit den "Whoa-Ah-Uuh"-Chören gemeint. Doppelte Plansollerfüllung bringt "Billy No Mates" mit Songs, die schon mal sechs oder mehr Akkorde aneinander ketten. Die Wechselgesang-Choräle über einfachere Riffstruktur sind auch hörenswert. Der Bassist scheint die wuchtigen Töne aus seinem Instrument herauszulöffeln.
Leider wirkt es, als müsste sich die junge Band (der singende Schlagzeuger Duncan spielte für die CD alle Instrumente selbst ein) vor jedem Song neu aufstellen. Die Pausen füllt der Drummer mit launigen Ansagen voller schwer nachzuvollziehender Querverweise auf Bands wie "Wishbone Ash" und "Hawkwind". Das ist "very british", musikalisch überzeugend, aber für die Durchschnittswachheít weit nach Mitternacht leider etwas zäh.
lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de
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