Mindener Tageblatt ,
12.10.2005 :
(Minden) Deutsch-Türken stecken in der Zwickmühle / Zahl der Einbürgerungen seit Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts gestiegen / Probleme bei "Doppel-Pass"
Minden (rac). Türkischstämmige Mitbürger, die sowohl einen deutschen als auch einen türkischen Pass besitzen, sind in eine "Zwickmühle" geraten. Denn durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsbürgerschaft, nach Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsrechts zum 1. Januar 2000, haben sie automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft verloren.
Von Patrik Rachner
Auf Grund der Berichterstattung türkischer Medien sind deutsche Behörden erst darauf aufmerksam geworden, dass bundesweit circa 50.000 türkischstämmige Deutsche die türkische Staatsangehörigkeit wieder angenommen haben. Die vorherige NRW-Landesregierung hatte daraufhin sämtliche lokale Meldebehörden gebeten, alle volljährigen eingebürgerten türkischstämmigen Mitbürger in NRW anzuschreiben, um festzustellen, welcher Personenkreis die türkische Staatsangehörigkeit wieder angenommen habe. Bei den NRW-Landtagswahlen wurde eine Teilnahme von nicht wahlberechtigten Personen befürchtet. Schlimmstenfalls hätte dies zu einer Anfechtung des Wahlergebnisses führen können.
Innenministerium will "wohl wollend" prüfen
Nach Angaben von Heike Blöbaum von der Pressestelle des Kreises Minden-Lübbecke, sind 245 Personen angeschrieben worden, davon hatten 35 Personen die türkische Staatsangehörigkeit wieder angenommen.
Von der Meldebehörde der Stadt Minden wurden 107 Personen angeschrieben, die sich alle zurückgemeldet haben. Lediglich bei drei Personen wurde der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit amtlich festgestellt. Für sie begann das so genannte Passeinzugsverfahren. Wollen sie wieder Deutsche werden, könnte das eine teure Angelegenheit werden. Alles in allem kann sich bei einer mehrköpfigen Familie im Extremfall die Summe auf 1.000 Euro und mehr belaufen.
Wie sieht der Ablauf für das Einbürgerungs-Prozedere generell aus? Die Betroffenen müssen sich zunächst von einer befristeten Aufenthaltserlaubnis oder über die Niederlassungserlaubnis schließlich zur deutschen Staatsangehörigkeit "zurückarbeiten". Generell sollen die Behörden eine "wohlwollende Einzelfallprüfung" vornehmen und im Zweifel für die Betroffenen entscheiden, betont das NRW-Innenministerium.
Konkret bedeutet dies, dass nach der Vorlage des türkischen Passes bei der Ausländerbehörde, anschließend die Voraussetzungen geprüft werden, inwieweit der Anspruch auf eine Wiedereinbürgerung besteht. Hierbei sind auch die Einkommens- bzw. Vermögensverhältnisse relevant. Wenn daraufhin die Niederlassungserlaubnis erteilt worden ist, erhalten die betroffenen Personen eine so genannte Einbürgerungszusicherung von der Einbürgerungsbehörde. Eine rechtmäßige Wiedereinbürgerung erfolgt allerdings erst, wenn der Einbürgerungsbehörde die durch die türkischen Behörden ausgestellte Genehmigung zum Austritt aus der türkischen Staatsangehörigkeit in schriftlicher Form vorgelegt wird.
Der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit ist vom Gesetzgeber vorgegeben, wenngleich dennoch eine Hinnahme von Mehrstaatigkeit unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Der Iran, Syrien und andere Staaten entlassen z. B. keine Staatsangehörigen offiziell aus ihrem Staatsverband. Auch bei den meisten EU-Staatsangehörigen, die in Deutschland leben, wird eine doppelte Staatsbürgerschaft hingenommen und akzeptiert.
"Viele sind enttäuscht und verunsichert"
"Viele der türkischstämmigen Personen haben seit Jahrzehnten ihren Lebensmittelpunkt und Wohnsitz in Deutschland und nehmen sowohl ihre Rechte als auch die Pflichten gegenüber der Bundesrepublik wahr", kritisiert der sachkundige Bürger des Ausländerbeirats der Stadt Minden Ümit Rahmi Tuncel.
Seiner Meinung nach sind viele türkische Mitbürger "enttäuscht und verunsichert", weil "durch die jetzige Praxis die Rechte teilweise aberkannt werden und somit Ängste geschürt werden". Viele Pässe seien im Übrigen erst nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland von den türkischen Konsulaten ausgehändigt worden. Dies habe zu Verwirrungen geführt, da viele davon ausgegangen seien, dass der Zeitpunkt der Antragsstellung relevant sei und somit nicht mit dem geltenden Recht kollidieren könne, meint die Bielefelder Rechtsanwältin Birgit Schwinning.
Doch aus welchem Grund heraus haben die eingebürgerten türkischstämmigen Deutschen die türkische Staatsbürgerschaft überhaupt wieder angenommen? Zumeist haben sie es freiwillig getan, um Eigentums- und Erbrechte in der Türkei nicht zu verlieren. Hier liegt jedoch prinzipiell der Fehler, denn die in der Öffentlichkeit verbreitete Meinung, dass ausgebürgerte ehemalige Türken kein Erbrecht in der Türkei hätten, ist falsch. Bereits vor Jahren sind die gesetzlichen Bestimmungen geändert worden.
Die Ausländerbehörde der Stadt Minden sieht sich selbst nicht nur als "Entscheidungsbehörde", sondern auch als "Beratungsstelle" für die Betroffenen. Genutzt werden dabei auch die guten Kontakte zum Ausländerbeirat der Stadt Minden sowie anderen Beratungsorganisationen und Arbeitskreisen. "Wenn es zu rechtlichen Neuregelungen kommt, informieren wir schnellstmöglich die Beratungsorganisationen", so Annette Ziegler von der Ausländerbehörde.
Einbürgerung: "Hürden niedriger angesetzt"
Auch die Zusammenarbeit mit dem türkischen Kulturverein Minden erweise sich als positiv. Dank der Mithilfe des Kulturvereins haben sich nach Angaben der Ausländerbehörde zudem weitere elf Personen freiwillig gemeldet, die vor dem 1. Januar 2000 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben und nach diesem Datum die türkische Staatsangehörigkeit wieder angenommen haben. In insgesamt acht Fällen liegen der Einbürgerungsbehörde der Stadt Minden bereits Anträge auf Wiedererwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vor.
Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 ist es dennoch verstärkt zu Neueinbürgerungen in Minden gekommen. Thomas Schickentanz von der Mindener Ausländerbehörde betont, dass "die Hürden für die Einbürgerungsverfahren niedriger angesetzt worden sind".
Ein türkischer Mitbürger erhalte nach neuem Recht bereits nach acht Jahren, sofern er einen ordnungsgemäßen Aufenthaltstitel besitzt, die Möglichkeit, eine Einbürgerung zu beantragen. Nach altem Recht musste er 15 Jahre warten. Im Jahr 2004 sind 209 Personen eingebürgert worden.
mt@mt-online.de
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