Bramscher Nachrichten / Neue Osnabrücker Zeitung ,
26.09.2005 :
Nur kurz drohte die Stimmung zu kippen / Wieder Demonstration gegen ZAAB-Außenstelle in Hesepe / Besichtigung "Potemkinscher Dörfer" abgelehnt
Von Heiner Beinke
Die Nachwuchskicker des SV Hesepe/Sögeln gucken etwas irritiert. An ihrem gewohnten Treff an der Gaststätte Redehase herrscht an diesem Samstag Hochbetrieb. Überall stehen Polizeiwagen, auf der Straße tummeln sich verkleidete Gestalten. Kräftige Kerle in tuntigen Fummeln tanzen und singen: "Wir wollen keine Karnevalsvereine." Es ist wieder Lagerdemo in Hesepe.
Am Bulli der Versammlungsleitung macht Dirk Vogelskamp vom Komitee für Grundrechte und Demokratie deutlich, worum es geht: Die Demonstranten wollen "das öffentliche Beschweigen der Lager ein bisschen besprechen", mit ihrem Protest dazu beitragen, dass die Menschen in dem Lager sich gegen ihre Lebensbedingungen auflehnen. Unter den Teilnehmern sind viele Migranten, nicht nur aus Hesepe. Die von der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde (ZAAB) angebotene Besichtigung des Lagers mit einer kleinen Delegation haben die Veranstalter abgelehnt: "Wir lassen uns nichts vorführen und wir lassen uns nicht vorführen", besteht Vogelskamp auf einer unangemeldeten, unkontrollierten Inspektion. Die werde "kleinmütig verweigert".
Nach der Ansprache, die auf Englisch und Französisch übersetzt wird, setzt sich der bunte Zug, begleitet vom Trommelwirbel verschiedener Gruppen, in Bewegung. Nur selten kommen die Demonstranten mit der Heseper Bevölkerung ins Gespräch, die eher unbeteiligt das Geschehen verfolgt. "Wenn die friedlich sind, ist ja alles in Ordnung", findet eine Rentnerin, die sich die Flugblätter geben lässt und kurz mit einer Teilnehmerin spricht. "Ich bin nicht stolz auf das Lager, ich muss drunter leiden", sagt die Heseperin. Etwas weiter schüttelt ein Mann seinen Kopf: "Und wegen so was ist unsere Polizei am Wochenende im Einsatz."
Am Lager bereiten sich derweil Polizei und ZAAB-Personal auf die Ankunft der Demonstranten vor. Behördenleiter Christian Lüttgau hat gut 30 Mitarbeiter zur Verfügung, die sich freiwillig gemeldet hätten, um in der Aufnahmestelle den "ganz normalen Betrieb" zu gewährleisten. Polizei-Einsatzleiterin Anita Kamp lässt feststellen, mit wie vielen Kundgebungsteilnehmern die 120 Polizisten rechnen müssen: "Wir haben 250 gezählt." Auf 550 kommt Hildegard Winkler vom No-Lager-Netzwerk, dem Aktionspartner des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Versammlungsleiter Vogelskamp schätzt, die Wahrheit liege irgendwo dazwischen.
Die bis dahin überaus friedliche Stimmung droht zu kippen, als der Protestzug die Absperrung erreicht. "Das Lager muss weg", skandieren die Demonstranten, die an den Metallgittern zerren. Als die Absperrung an einer Stelle reißt, bilden kräftige Bereitschaftspolizisten einen menschlichen Sperr-Riegel vor dem Gitter. Demonstranten und Polizisten stehen sich unmittelbar gegenüber, die Stimmung ist gereizt. Unter diesen Umständen wird die Forderung der Demonstranten, die Menschen aus dem Lager sollten zu ihnen nach draußen kommen und mit ihnen reden, nur in Einzelfällen erfüllt.
Besonders erregt sind viele der Migranten im Protestzug. "Die sind angespannt. Da spiegelt sich ja ihre eigene Situation wider", sieht Vogelskamp darin einen Beweis für den Druck, die die Unterbringung in Lagern erzeugt. Der erfahrene und besonnene Versammlungsleiter trägt im richtigen Moment entscheidend zur Entspannung bei: Er bittet die Musiker, schell anzufangen, "damit das hier ein bisschen runterkommt".
Schnell entspannt sich die Situation. Viele der Demonstranten setzen sich oder holen sich etwas zu essen an ihrer Verpflegungsstation. Am Zaun entwickelt sich eine Diskussion zwischen einer Demonstrantin in einem Heseper, der wenig Verständnis für den Protest hat. Den Menschen in dem Lager gehe es doch gut, meint er. Die Frau zeigt auf das geschlossene Lagertor, hinter dem sich Flüchtlinge drängen, und fragt ihn, warum die denn dann nicht herausdürften. Das liege letztlich nur an den Demonstranten, meint der Heseper: "Wenn Sie nicht hier wären, dann wären die alle auf der Kirmes."
Bevor die Kundgebung allmählich ausklingt, ergreift Prof. Wolf-Dieter Narr das Wort. Er hat gemeinsam mit Vogelskamp im Vorfeld der Kundgebung das Lager besichtigt. Da sei "das berühmte Potemkinsche Dorf" aufgebaut worden, das ein traumhaftes Lagerleben vortäusche. In Wirklichkeit aber werde hier die zur Ausreise erwünschte "Freiwilligkeit mit allen Mitteln der Kunst systematisch erzwungen".
Narr kündigt an, es werde im nächsten Jahr wieder eine Kundgebung geben. Das hört Herbert Jelit auf der anderen Seite der Absperrung gar nicht gern. Der für Flüchtlingsfragen zuständige Regierungsdirektor im niedersächsischen Innenministerium setzt eher darauf, "dass sich so etwas abnutzt".
Allmählich löst sich die Kundgebung auf. Ältere Teilnehmer vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, die schon am frühen Morgen in Frankfurt losgefahren sind, denken allmählich an die lange Heimfahrt. Die Jüngeren vom No-Lager-Netzwerk brechen bald auf mit ihren Bussen zur nächsten Station: Am Sonntag ist Lager-Action in Horst bei Boizenburg in Mecklenburg-Vorpommern angesagt. Von ihrem Kampf für die Rechte der Flüchtlinge haben die Menschen im Lager, die Polizei und die Medien etwas mitbekommen. Für die Heseper Bevölkerung war die Lagerdemo mit dem Zug durch den Ort erledigt.
f.wiebrock@neue-oz.de
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