Frankfurter Rundschau ,
28.09.2005 :
Kaum Luft zum freien Atmen / Wie die Bereitschaft, "freiwillig auszureisen", bei Asylsuchenden in Bramsche angeregt werden soll
Von Theo Christiansen und Dirk Vogelskamp
Asylbewerber ohne Aussicht auf Anerkennung werden in Sammellagern untergebracht, damit sich ihr "unberechtigter Aufenthalt" nicht verfestige. Sie sind dort oft isoliert.
Das ehemalige "Grenzdurchgangslager" für Spätaussiedler in Bramsche-Hesepe ist seit dem Jahr 2004 mit 550 Plätzen das größte Abschiebelager in der Bundesrepublik Deutschland. Heute wird das Sammellager weniger erinnerungsbelastend als "Gemeinschaftsunterkunft" für Asylsuchende betrieben (Außenstelle der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde - ZAAB Oldenburg). Es ist ein Lagermodell mit einer eigenen ausgefeilten Konzeption, das wie die repressiven "Ausreisezentren" zu einem Standardmodell unter den Lagereinrichtungen in der BRD werden könnte. Denn das niedersächsische Innenministerium preist unermüdlich den Erfolg dieser Einrichtung. Aus dem Lager Bramsche wurden im letzten Jahr 358 Asylsuchende "zurückgeführt". So heißt es täuscherisch im Behördendeutsch. 95 Personen seien "freiwillig ausgereist", 55 Personen hätten an aufnahmebereite Drittstaaten überstellt werden können. Die anderen Personen wurden abgeschoben. Das Land Niedersachsen verwehrt sich gegen die Behauptung, die "Gemeinschaftsunterkunft" sei tatsächlich ein Abschiebelager.
Die Menschen dort sind begrenzt mobil und festgesetzt zugleich
Alle für die Asylsuchenden lebenswichtigen Behörden haben ihren Sitz im Lager: von der Verwaltung ihrer Asylgesuche bis zur sozialamtlich festgesetzten Minimalversorgung ihrer Grundbedürfnisse wird alles innerhalb des Lagers organisiert. Besuchten bis vor kurzem viele Kinder noch Schulen außerhalb des Sammellagers, so ist inzwischen sogar eine kleine Lagerschule eingerichtet worden, welche sie - nach offizieller Begründung - erst auf die Bildungsanstalten jenseits des Lagerterrains vorbereiten soll, so sie nicht das Lager und Deutschland vorher verlassen müssen. Das ist häufig der Fall.
Die Asylsuchenden dürfen das zaunbewehrte Lager zwar durch eine kontrollierte Lagerpforte verlassen, ihr Alltag jedoch wird stets von ihm bestimmt. Sie können sich den ein- und ausschließenden Funktionen des Lagers nicht entziehen. Sie müssen immer wieder ins Lager zurückkehren, um ihre Asylangelegenheiten regeln und um ihre minimalen sozialen Ansprüche geltend machen zu können: Unterkunft, Nahrung, Kleidung und ambulante medizinische Hilfe erhalten sie nur dort. Ihr karges Taschengeld von etwa 40 Euro monatlich erlaubt kein Leben außerhalb der Lagergrenzen.
Die Menschen im Lager sind begrenzt mobil und festgesetzt zugleich: mobil festgesetzt. Die Lagertatsache der Festsetzung dominiert und definiert ihr Leben. Ihre Bewegungsfreiheit wird zusätzlich durch die gesetzliche Residenzpflicht auf den Landkreis oder Regierungsbezirk beschränkt. Sie bleiben räumlich eingeschlossen. Grundlegende Menschenrechte sind also ver-lagert.
Die Konzeption des Lagers befördert die soziale Isolation der Flüchtlinge und die Ghettoisierung nach außen. Dazu trägt der abseits von der übrigen Wohnbevölkerung gelegene Lagerort in Bramsche-Hesepe bei. Die Asylsuchenden werden größtenteils aus den niedersächsischen zentralen Anlaufstellen für Asylsuchende in Oldenburg und Braunschweig, ebenfalls große Lagereinrichtungen, überstellt. In diesen müssen sie die ersten Monate in Deutschland verbringen. Sie leben von Lager zu Lager. Dadurch sind sie weitgehend von Alltagserfahrungen und -begegnungen mit der ansässigen Bevölkerung abgeschnitten. Das Lager funktioniert desintegrierend. In der Begründung der Landesregierung für dieses Lagermodell heißt es u.a., die Asylsuchenden werden statt in Kommunalgemeinden in Gemeinschaftsunterkünfte (Lager) eingewiesen und untergebracht, damit sich ihr "unberechtigter Aufenthalt" nicht verfestige und verlängere. In den Kommunen nehme ihre Bereitschaft zur "freiwilligen Ausreise" ab.
Unterzeichner des Aufrufs
Der Aufruf zum Aktionstag in Bramsche wurde unter anderem unterstützt von:
Bayerischer Flüchtlingsrat, Dr. Martin Bennhold, Osnabrück, Berliner Flüchtlingsrat, Dr. Renate Bitzan, Göttingen, Prof. Micha Brumlik, Frankfurt/M., Prof. Wolf-Dieter Bukow, Köln, Bremer Flüchtlingsrat, Dr. Rainer Deppe, Frankfurt/M., Flüchtlingsrat Hamburg, Humanistische Union, Hessischer Flüchtlingsrat, Prof. Joachim Hirsch, Frankfurt/M., Initiative Avanti e.V., Osnabrück, Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrantinnen - Gruppe Bielefeld, Heiko Kauffmann (Vorstandsmitglied und ehemaliger Sprecher von Pro Asyl), Dr. Manfred Kloweit-Herrmann, Bad Iburg, Kulturinitiative Detmold, www.hiergeblieben.de, Pfr. Herbert Leuninger (Mitbegründer und ehemaliger Sprecher von Pro Asyl), Prof. Manfred Liebel, Berlin, Dr. Jürgen Micksch (Interkultureller Rat in Deutschland), die Mitarbeitenden im niedersächsischen Netzwerk Asyl in der Kirche, Niedersächsischer Flüchtlingsrat, Prof. Albert Scherr, Freiburg, Dr. Christa Sonnenfeld, Frankfurt/Main
Die Asylsuchenden werden ins Lager Bramsche-Hesepe mit der Absicht eingewiesen und festgesetzt, sie zur "freiwilligen Ausreise" lagerverbracht weichzuklopfen. Sie sollen rasch wieder außer Landes befördert werden können. Die Flüchtlingsverwaltung nimmt an, dass ihre Asylverfahren wenig oder keine Aussicht auf Erfolg haben. Sind die Verfahren rechtskräftig abgeschlossen und wird ein Bleiberecht verwehrt, sind die Asylsuchenden zur Ausreise verpflichtet. Kommen sie dieser justiziell aufgeherrschten Pflicht nicht nach, können sie zwangsweise abgeschoben werden. Abschiebungen, die immer mit Zwang einhergehen, erfolgen auch aus dem Lager in Bramsche heraus. Polizeilich kann dort auf die Asylsuchenden mühelos zugegriffen werden. Die Lagerbediensteten versuchen diese asylrechtlich ausgesteuerten Flüchtlinge zur "freiwilligen Ausreise" zu drängen. Das Taschengeld wird ihnen gekürzt oder gänzlich entzogen. Kleinere Arbeitsmöglichkeiten werden ihnen verwehrt. So sollen sie repressiv für die Ausreise gefügig gemacht werden.
Im Lager Bramsche will man jedoch auch die "freiwillige Ausreise" jener Asylsuchenden fördern, deren Verfahren formal noch nicht abgeschlossen, aber als aussichtslos prognostiziert wird. Das setzt ihre dauernde Verfügbarkeit voraus. Auch diese Asylsuchenden, kaum in Deutschland angekommen, werden kontinuierlich und intensiv mit dem Ziel der "freiwilligen Ausreise" "beraten". Wer sich dazu schließlich bereit erklärt und seinen Asylantrag zurückzieht, der kann an beruflichen Trainingsmaßnahmen in den lagereigenen Werkstätten teilnehmen oder sein Taschengeld durch "Ein-Euro-Arbeitsmöglichkeiten" im Lager und in der Kommune aufbessern.
Eine tatsächlich freiwillige Ausreise setzt jedoch auch die Alternative voraus, bleiben zu können. Diese Alternative ist und wird nicht gegeben. So wie das Lager nicht wirklich offen ist, so erfolgen die "freiwilligen Ausreisen", zu denen das Lagerpersonal zielgerichtet und sanktionsbewehrt berät, nicht wirklich freiwillig. Sie werden in einem vorsätzlich geschaffenen Klima existenzieller Ausweglosigkeit abgepresst.
Sie, die zu Lagermenschen gemacht werden, leben im Lager auf engem Raum, multiethnisch und konfliktreich zwangsvergemeinschaftet und unter ständiger Kontrolle. Sie leben in reglementierten Rhythmen des Lagers ohne Beschäftigungsmöglichkeiten. Ihre Zukunftsperspektive ist unsicher. Sie leben in einem rechtlichen Ausnahmezustand, in zeitlich unbegrenzter Ungewissheit, wie über ihr Fluchtschicksal letztlich entschieden wird, und unter permanenter Angst, abgeschoben zu werden. Ihre Möglichkeiten, die eigenen Lebensbedingungen im Lager selbst zu gestalten, sind extrem eingeschränkt. Sie leben zwangsweise in hilfebedürftiger Abhängigkeit von den Versorgungseinrichtungen der Lagerverwaltung. Sie sind auf ein bloßes Leben in dauernder Unsicherheit zurückgeworfen, das ihre Lebensenergien verzehrt. Diese Lebensbedingungen im Lager machen krank Sie fördern und verstärken vielerlei Krankheiten. Das hat eine Untersuchung der Universität Osnabrück zusätzlich zu den vielen entmenschlichenden Lagererfahrungen des 20. und nun schon des 21. Jahrhunderts festgestellt. Wer Menschen in Lager steckt, erniedrigt sie als Menschen. Er entzieht ihnen die nötige Basis, menschlich zu leben. Noch sind sie da, mitten in Deutschland im Lager Bramsche-Hesepe, aber schon so gut wie ausgereist oder abgeschoben. Menschen mit "rechtsstaatlich" ausgehöhlten Rechten im von deutscher Staatsgewalt erzeugten existenziellen Ausnahmezustand.
Es ist nicht leicht, Protest und Widerstand im Lager zu organisieren. Dennoch haben Flüchtlinge in Bramsche-Hesepe immer wieder gegen ihre Lagerunterbringung und deren kränkende und krank machende Wirkung protestiert, Blockaden der Lagerpforte organisiert und Kontakte nach draußen zu Unterstützergruppen geknüpft. Diese Gruppen sind zwar rar. Aber es gibt sie in Osnabrück und im Umland. Sie unterstützen die Asylsuchenden in ihrem legitimen Aufbegehren, helfen solidarisch und verleihen ihnen eine Stimme in der Öffentlichkeit. So auch das Anti-Lager-Netzwerk, ein Zusammenschluss bundesweit arbeitender Initiativen gegen die Existenz von Lagern. Es ist an der Zeit, dass sich auch andere gesellschaftliche Gruppen und Organisationen dem Protest gegen die Lager in Deutschland anschließen. Wir haben diesen Aktionstag auch initiiert, um die Flüchtlinge und Initiativen vor Ort ein wenig zu unterstützen.
Wir wollten mit unserer Begehung die staatlich gewollte Isolation und Desintegration der Flüchtlinge wenigstens für einen Tag durchbrechen. Wir hoffen, damit Bürgerinnen und Bürger, die sich und damit die Grundrechte anderer ernst nehmen, für die Abschaffung aller Lager gewinnen zu können. ( ... ) Wir hoffen ( ... ) die "Schattenlager" in Deutschland dem kritischen Licht der Öffentlichkeit aussetzen zu können. ( ... )
Lager müssen abgeschafft werden!
Menschenrechtlich angemessen mit schutzsuchenden Flüchtlingen umzugehen, heißt vor allem: ihnen menschenwürdige Wohnungen zur Verfügung zu stellen; ihnen ausreichend Zeit für unabhängige Beratungen einzuräumen; ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dass sie ihr Leben selbstbestimmt führen, Kontakte und Arbeit aufnehmen können, so dass sie ihren eigenen Unterhalt bestreiten können; sie nicht in Lager zu stecken und sie damit einem rechtlichen und existenziellen Ausnahmezustand auszusetzen; sie nicht in abhängiger Unsicherheit und Perspektivlosigkeit zu halten, sie nicht zu unmündigen Objekten der Flüchtlingsverwaltung zu degradieren; sie nicht auf ein "bloßes Leben" im Lager zu reduzieren. Lager in all ihren verschiedenen Gestalten sind mit den Grund- und Menschenrechten unvereinbar.
Heute besteht in und vor Europa wieder ein Universum von Lagereinrichtungen. Dieses ist vor allem gegen jene Menschen gerichtet, die den politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Verwerfungen neoliberaler Globalisierung zu entfliehen suchen. Ihre Migration in die Zonen des Wohlstands soll unterbunden werden. Nur noch wenigen der unerwünschten Flüchtlinge gelingt es überhaupt, die festungsgleichen Grenzen und exterritorialen Lagerorte zu überwinden. Auch hier in der EU werden sie, ist man ihrer habhaft geworden, gleich wieder in Lager gesteckt. Im Aufruf des Komitees für Grundrechte und Demokratie vom Mai 2005 "Wider die Errichtung von Lagern in der Bundesrepublik Deutschland und der EU", den bislang schon viele Bürgerinnen und Bürger unterzeichnet haben, heißt es: "Nur wenn wir Bürgerinnen und Bürger zukunftgerichtet, der Vergangenheit eingedenk, mehr für die Grund- und Menschenrechte tun, gegen Lager aller Art an erster Stelle, können wir die Welt, in der wir leben, demokratisierend ... mitbestimmen. Nur dann können wir auch die Repräsentanten etablierter Politik vielstimmig dazu bringen, eine Politik der Ver-lagerung von Demokratie und Menschenrechten zu beenden und alle Lagereinrichtungen aufzulösen."
www.grundrechtekomitee.de
Die Autoren
Theo Christiansen ist Diplom-Theologe und Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie in Köln. Dirk Vogelskamp ist Buchhändler und Mitarbeiter des Komitees. Ihr hier abgedruckter Aufruf zur "Inspektion" in Bramsche-Hesepe setzt sich kritisch mit der Funktion solcher Lager auseinander.
Dokumentation: "Leitung verwehrt "öffentliche Inspektion" / Demonstranten fordern Schließung von Abschiebelagern
Schwerin. "Ich werde sicherlich bald abgeschoben. Wehre ich mich nicht gegen diese Verhältnisse, werde ich auch abgeschoben. Also wehre ich mich lieber." Mit diesen Worten begründete ein Asylbewerber aus dem Abschiebelager im niedersächsischen Bramsche-Hesepe seine Teilnahme an einer Protestkundgebung gegen die Lagerunterbringung am vergangenen Wochenende. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hatte in Kooperation mit dem "NoLager-Netzwerk" zu einem Aktionstag gegen das Abschiebelager für über 500 Menschen aufgerufen. (Siehe Wortlaut des Aufrufs oben.) Daran beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter rund 450 Personen. Die Lagerleitung verweigerte jedoch dem Grundrechtekomitee eine "öffentliche Inspektion des Lagers" durch eine Delegation von Bürgerrechtlern, Journalisten und Migranten. Das Angebot einer Führung durch das Lager für 10 Personen lehnte das Komitee als unzureichend ab. Es kam zu Rangeleien mit der angerückten Bereitschaftspolizei.
Nach Angaben des Grundrechtekomitees wurden Flüchtlinge aus dem Lager, die zu der Kundgebung wollten, nur einzeln durch ein Spalier aus Polizisten und Absperrungen nahe der Lagerpforte herausgelassen. Zuvor hätten sich viele der Lagerbewohner mit ihren Kindern der Demonstration für die Schließung des Lagers angeschlossen. Auf Pappschildern forderten sie: "Das Lager muss weg! Wir bleiben hier."
Im Rahmen einer "Aktionstour" gegen die Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Lagern protestierte das NoLager-Netzwerk am nächsten Tag auch in Horst bei Boizenburg und später vor dem Containerlager Schwerin-Görries gegen diese Art der Unterbringung von Asylbewerbern. Nach Angaben der Polizei kam es auch vor dem Lager in Horst zu Rangeleien, als bis zu 50 Demonstranten versucht hätten, ein verschlossenes Eisentor aufzubrechen.
Das "NoLager-Netzwerk" ist ein bundesweiter Zusammenschluss antirassistischer, feministischer und autonomer Gruppen, in dem Flüchtlingsselbstorganisationen eine zentrale Rolle spielen. Der Protest richtete sich nach Angaben der Veranstalter gegen die abgelegene Lage der Heime sowie gegen "die derzeit mit Hochdruck forcierte EU-Lagerpolitik in Nordafrika", durch die Flüchtlinge schon vor den Grenzen der Europäischen Union abgefangen werden sollten.
Das Schweriner Innenministerium hatte mitgeteilt, dass das Land die Erstaufnahmestelle für Asylbewerber in Horst Ende Juni teilweise in eine Landesgemeinschaftsunterkunft (LUG) umgewandelt habe. Grund dafür sei die schlechte Auslastung des Lagers gewesen. Von den derzeit zur Verfügung stehenden 650 Plätzen in Horst seien derzeit nur knapp 90 belegt.
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