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Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische , 27.09.2005 :

Konzert hinter Gittern / Bad Lippspringer Rockband "Clear" spielt in der Abschiebehaftanstalt Büren

Von Maria Tillmann

Büren. Größere Konzerte sind sie inzwischen gewohnt. Beim Band-Contest auf dem Paderborner Frühlingsfest machten sie unter 28 regionalen Bands den dritten Platz. Trotzdem waren die drei Musiker der Rockband "Clear" aus Bad Lippspringe vor ihrem Konzert am Samstag ganz schön aufgeregt.

"So eine Location hatten wir noch nie", sagte Vitalij Kran und ging auf die Bühne. Im Publikum 65 Abschiebungshäftlingen der Justizvollzugsanstalt (JVA), denen "Clear" dort eine Stunde lang einen völlig legalen Ausbruch aus dem Knastalltag ermöglichten.

"Der Kontakt nach außen ist in der Zeit der Inhaftierung immer ein Highlight für die Häftlinge", freute sich Vollzugsbeamter Horst Köhler über die Abwechslung für die zum großen Teil jugendlichen Abschiebungshäftlinge aus ganz Nordrhein-Westfalen, deren Altersdurchschnitt in Büren um die 25 Jahre liegt. "So eine Veranstaltung ermöglicht es den jungen Menschen, aus dem Alltag hier im Gefängnis auszubrechen."

Alltag, der gerade in der JVA zumeist Routine bedeutet: Sechs Uhr aufstehen, viertel vor sieben Frühstück. "Für einige Häftlinge heißt es dann ab zur Arbeit. Kleine Tätigkeiten, meist Verpackungsarbeiten", berichtete Köhler. Arbeit, die die momentan 247 Häftlinge oft nicht auslastet. "Deshalb haben wir hier in Büren eine große Sportabteilung, in der sich die Jugendlichen bei Ballspielen oder Kraftsport auspowern können", so Köhler, der in der JVA für die Freizeitkoordination zuständig ist. Das Angebot wird stark frequentiert. 200 Häftlinge nehmen täglich an den Sport- und Freizeitprogrammen teil.

Eigentlich hatte Köhler auch mit einer größeren Teilnehmerzahl für das Konzert gerechnet. Schuld an dem vergleichsweise geringen Interesse, so meint Köhler, sei ein Missverständnis gewesen. Weil der Samstagnachmittag im Veranstaltungsraum sonst einem katholischen Gottesdienst vorbehalten sei, hätten besonders die muslimischen Häftlinge dem Konzert Skepsis entgegengebracht. Missverständnisse, die unter Menschen 52 unterschiedlicher Nationen, wie sie momentan in der JVA vertreten sind, "eben vorkommen können", so Köhler.

Auch "Clear", die sich selbst als christliche Band bezeichnen und in ihren Texten "den Glauben an Jesus verbreiten wollen", so Band-Manager Diederich Thorsten, zeigten sich vor dem Konzert gespannt, wie das Publikum ihre Musik und vor allem die Inhalte ihrer englischen Texte aufnehmen würde: "Wir wissen ja nicht wie die Jungs hier reagieren. Sonst weiß unser Publikum ja schon vorher was wir für Musik machen", so Vitalij Kran.

Kaum das "Clear" zu ihren Instrumenten gegriffen hatten, zeigte sich, dass sich der Sänger unnötig Gedanken machte. Schon beim Soundcheck wurde die Rockgruppe, die eine Karriere als Knastband plant, mit viel Applaus und Jubel gefeiert. Interkulturelle Probleme gab es nicht und dass nicht zuletzt, weil sich sowohl Musiker als auch Häftlinge in einem einig waren: "Dass Freude und Spaß im Vordergrund stehen – auch beim Glauben", so Vitalij Kran.

Beim ersten Song kam sodann ein Häftling aus dem Kosovo auf die Bühne, um gemeinsam mit "Clear" zu rappen. Und nach dem letzten Song verlieh Gitarrist Michael Bohn sein Instrument an einen Häftling, der eine armenische Volksweise zum Besten gab – begleitet von Vitalij Kran am Bass und Dieter Binfet am Schlagzeug.

So erschien "Clear" nach ihrem ersten Auftritt "hinter Gittern" dann nur noch eines ungewohnt: "Dass hier das Publikum selbst singt", so Vitalij.


lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de

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