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Lippische Landes-Zeitung , 27.09.2005 :

Zwischen Hoffen und Bangen / An einem Salzufler Altenheim steht jetzt ein Friedenspfahl - Zeitzeugin erinnert sich an den Weltkrieg

Von Till Schröder

Bad Salzuflen. Die Nacht war bitterkalt und sternenklar. "Das Thermometer zeigte minus 20 Grad", denkt Gerda Hörster an den 20. April 1945 zurück. Wenige Tage vor Kriegsende floh die damals 30-Jährige vor der russischen Armee aus dem mecklenburgischen Waren an der Müritz. Was Hörster zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte: Ihre Odyssee sollte zwei Monate dauern und in Bad Salzuflen enden.

Obwohl der Zweite Weltkrieg seit sechs Jahrzehnten vorbei ist, haben gleich der 91-jährigen Heimbeiratsvorsitzenden auch viele Mitbewohner im Feierabendhaus der Arbeiterwohlfahrt die Schrecken von damals nicht vergessen. Daher erinnerten die Senioren mit einem Friedensfest an das Erlebte und weihten einen Friedenspfahl ein, der auf vier Sprachen mit den Worten mahnt: Möge Friede auf Erden sein.

Der schlichte, viereckige Pfahl im Garten sei Symbol für den Frieden in der ganzen Welt, erläuterte Sonja Rodschinka, Leiterin des Feierabendhauses. Er gehört zu einem Projekt der World Peace Prayer Society, einer Nichtregierungsorganisation, die den Vereinten Nationen angegliedert ist. Weltweit stehen mehr als 200.000, hierzulande etwa 150 Friedenspfähle. Den im Feierabendhaus hat die Künstlerin Gudrun Mormann angeregt, die auch eine Friedensleuchte fürs Gebäudeinnere schuf. Der Förderverein des Altenheims hat die Aktion finanziert. Ex-Kirchenrat Klaus Wesner hielt die Gedenkansprache.

Verschiedene Bewohner teilten während der Einweihungsfeier ihre Gedanken zum Frieden mit oder unterhielten sich über die Erlebnisse und die Nachwehen des Zweiten Weltkriegs. Hörster etwa verlor damals fast alles, was sie besaß, weil sie Waren an der Müritz Hals über Kopf verließ. "Die russische Armee stand bereits vier Kilometer vor der Stadt, die Kanonen donnerten", sagt die 91-Jährige. "Ich habe die Feldpost meines Mannes sowie Urkunden eingepackt und bin mit meinem Fahrrad losgezogen."

Hörster reihte sich in den immer größer werdenden Treck ein. Das Ziel: "Nach Westen, ganz egal wohin, aber nach Westen", unterstreicht Hörster. Die Angst vor den russischen Soldaten sei riesig gewesen, da Flüchtlinge aus dem Osten Furchtbares berichtet hätten. Abschied? So richtig konnte Hörster noch nicht daran glauben. "Ich habe zu Hause noch die Blumen gegossen und auch frische Tischdecken aufgelegt - für die Rückkehr."

"Meine Flucht war mein Glück"
Gerda Hörster

Bald wich die Hoffnung aber der Angst. "Ich musste ums eigene Leben fürchten", erklärt Hörster. Bereits einen Tag nach ihrem Abschied eroberten die Russen Waren an der Müritz. "Meine Flucht war mein Glück", so Hörster heute. Ungefährlich war der Weg aber auch nicht. Der Flüchtlingsstrom wurde immer wieder von Tieffliegern beschossen. Nachtlager fanden die Menschen bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt in zugigen Scheunen, zur Not aber auch im Straßengraben.

In Schwerin erlösten amerikanische Soldaten die Flüchtlinge, die sich von ihnen bessere Behandlung versprachen. Doch selbst als Hörster entkräftet in Bad Salzuflen ankam, weil hier eine Cousine wohnte, gab es immer noch Probleme, wie die Arbeits- und Wohnungssuche oder anfangs fehlende Lebensmittelkarten. Vier Jahre lang fehlte es Hörster überdies an dem, was sie am schmerzlichsten vermisste: Erst 1949 kehrte ihr Mann aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.


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