Mindener Tageblatt ,
26.09.2005 :
(Minden) "Kommunikation wird immer wichtiger" / Multinationale Zusammenarbeit der Streitkräfte beherrschendes Thema des 12. Sicherheitspolitischen Kongresses
Minden (jg). Die unterschiedlichen Aspekte multinationaler Einsätze standen im Mittelpunkt des 12. Sicherheitspolitische Kongresses, der am Samstag in der Stadthalle stattfand. Dabei spielte das Thema Kommunikation eine große Rolle.
Von Jens Große
Neben den klassischen Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine wird die kommunikative Leistung von militärischen Bündnissen in der Zukunft immer größere Bedeutung bekommen. Diese perspektivische Einschätzung formulierte Generalleutnant Ulrich Wolf in seinem Auftaktreferat zum Kongress in Minden, das erneut vom scheidenden Mindener Bundestagsabgeordneten und sicherheitspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Günther Nolting, initiiert wurde. Der General vor rund 220 Zuhörern: "Künftig kann man sicherlich mit weniger Panzern und Kampfjets agieren - die Kommunikation in multinationalen Einsätzen wir aber immer wichtiger."
Seine Praxis-Beispiele: Mehr als 20.000 Telefonate und mehr als 100.000 Mails werden täglich im NATO-Bereich ausgeführt; wichtig dabei: alle kommunikativen Strategien müssen schnell, problemlos und vor allen sicher verlaufen. General Wolf, der als Direktor der NATO Communication and Information Systems Services Agency fungiert: Der deutsche Offizier, der in Afghanistan im Einsatz ist, muss sich darauf verlassen können, dass seine Mail ohne technische Probleme oder informative Verluste bei den NATO-Behörden in Europa ankommt. Wolf: "Und zwar so geschützt, dass kein Hacker etwas damit anfangen kann."
Um diese kommunikative Leistung zu ermöglichen, hat die NATO ihre Strukturen von streng hierarchischen Ebenen auf Netzwerkstrukturen umgestellt bzw. ist laufend dabei, diese Netzwerke zu optimieren. Der wesentliche Unterschied in den gegensätzlichen Strukturen liegt darin begründet, dass die aktuell favorisierte Netzwerk-Ebene bei den einzelnen Mitarbeitern mehr Offenheit, Motivation und Vertrauenswürdigkeit erreicht.
Wolf, der Mitte der 80er-Jahre in Minden als Kommandeur stationiert war: "Die Zeiten der strengen Hierarchie sind längst vorbei." Sein Beispiel: Testweise ist eine computeranimierte Aufgabenstellung - in der Laborsituation - zur Aufgabe erklärt worden. Die hierarchische Struktur brauchte drei Monate zur Lösung, die Netzwerker nur drei Tage. Der General: "Deutlicher kann der Effizienz-Unterschied nicht ausfallen." Allerdings gebe es zwei Voraussetzungen für erfolgreiche Netzwerke. Die leitenden Personen geben das Ziel und das Zeitfenster voraus. Wolf: "Das ist lebensnotwendig."
Mit Blick auf das aktuelle Kommunikations-Niveau der Nato sagte der gebürtige Hesse: "Wir sind gut aufgestellt, müssen aber erkennen, dass es schwierig ist, 26 NATO-Nationen unter einen Hut zu bekommen." Egoismen und bürokratische Auflagen seien im operativen Tagesgeschäft häufig schwere Hürden, was Wolf mit einer gewissen humorigen Note konkretisierte.
Erst vor wenigen Wochen sind Kommunikations-Instrumente ausgeliefert worden, die vor zehn Jahren bestellt wurden. Fazit der Truppe: Die Geräte sind technisch veraltet und viel zu schwer. Wolf: "Netzwerke hin, Netzwerke her: Da haben wir noch viel Nachholbedürfnis."
Zu Beginn des Kongresses hatte Veranstalter und Moderator Günther Nolting die Teilnehmer begrüßt. In seiner kurzen Ansprache betonte der Liberale, dass er es auf Dauer als einen unhaltbaren Zustand ansehe, dass militärische Kräfte im Ausland - beispielsweise die Bundeswehr in Afghanistan - eine Lösung der Konfliktprobleme vor Ort garantieren sollen. Nolting, der dafür viel Applaus bekam: "Für die Lösungen ist die Politik zuständig, nicht das Militär."
Sicherheitspolitik aus erster Hand erfahren / Günther Nolting möchte den Kongress auch als "Abgeordneter a.D." ausrichten
Der Sicherheitspolitische Kongress in Minden, der traditionell einmal jährlich im Herbst stattfindet, begann 1993 als Seminar mit einem kleinen Teilnehmerkreis - in Bad Oeynhausen.
Alle Veranstaltungen wurden von Günther Nolting, dem langjährigen Sicherheitspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, in Zusammenarbeit mit der Karl-Theodor-Molinari-Stiftung organisiert. Das erklärte Ziel: Bürgerinnen und Bürger sollten durch den Kongress die Möglichkeit erhalten, aus erster Hand aktuelle sicherheitspolitische Informationen zu bekommen - und mit Funktions- oder Mandatsträgern darüber diskutieren.
Nolting, der dem kommenden Bundestag nicht mehr angehören wird, möchte den Kongress auch als MdB a.D. fortsetzen. Zwar seien noch nicht alle logistischen und finanziellen Aspekte geklärt, grundsätzlich wolle er sein "Kind" aber am Leben erhalten. Nolting auf Anfrage des MT: "Ich bin dazu bereit, an mir soll es nicht liegen."
Weiterer Rückblick auf den Kongress: Mit wachsendem Stellenwert zog die Veranstaltung immer mehr Teilnehmer an und wurde aus Kapazitätsgründen nach Minden verlegt. Mittlerweile haben rund 60 Referenten aus der europäischen und deutschen Politik, aus der Wirtschaft und dem Militär zur Sicherheitspolitik Deutschlands und Europas gesprochen.
"Hochkaräter" immer mit von der Partie
So waren "Hochkaräter" wie die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, der niederländische Verteidigungsminister Frank de Grawe und der stellvertretende NATO-Generalsekretär Gebhardt von Moltke in Minden vor Ort. Dass es in diesem Jahr nicht klappte, den aus Presse, Funk und Fernsehen bekannten Oberst Gertz, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, ans Rednerpult zu lotsen, bedauerte Nolting besonders: "Alles war klar, wir hatten ihn auf der Tagesordnung. Doch gegen einen kilometerlangen Stau auf der A2 bei Hannover sind auch wir machtlos."
Schnell und präzise / Generalmajor Korte: Risiken minimieren
Auf die Bedeutung schneller und präziser Analysen von multinationalen Einsätzen wies Generalmajor Wolfgang Korte in seinem Vortrag hin.
Der Chef des Heeresamts machte deutlich, dass es gerade zum Schutze der Soldaten wichtig sei, unmittelbare Analysen zu erhalten - um das Leben der Kameraden vor Ort dem bestmöglichen Schutz zu unterstellen. Der General verdeutlichte die von ihm geleiteten Analysen an folgenden Beispielen: Vom Nachtsichtgerät bis hin zur Panzerung von speziellen Radfahrzeugen - nicht alle Situationen, auf die die NATO-Soldaten in den einzelnen Einsatzgebieten stoßen, lassen sich im Vorfeld simulieren.
Korte: "Häufig stellt sich erst in der konkreten Situation vor Ort heraus, woran es mangelt." So wie im Kosovo: Den dort stationierten Truppen mangelte es an polizeitauglichen Ausrüstungen, was bereits nach einigen Tagen auffiel. Gerade im Umgang mit aufgebrachten Menschenmengen eine heikle Situation, die dann aber schnell abgestellt werden konnte.
Bei den von Korte und seinem Team umgesetzten Analysen handelt es sich aber nicht nur um "manifeste" Dinge; auch Strukturen oder kommunikative Abläufe müssen einer Kontrolle und Bewertung unterzogen werden, so der General, der einräumte: "Natürlich sind diese 'Beobachter' nicht immer automatisch willkommen."
Die Referenten des 12. Sicherheitspolitischen Kongresses
Dr. med. Karsten Ocker, Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr.
Nach dem Studium der Humanmedizin in Kiel, Wien und Lübeck leistete Ocker seinen Grundwehrdienst als Geschwaderarzt beim U-Boot Geschwader in Kiel. Danach wurde er in Hannover in der Unfallchirurgie ausgebildet. In der USA absolvierte er den Lehrgang zum Fliegerarzt. Nach mehreren Verwendungen innerhalb der Bundeswehr - u.a. als Referatsleiter auf der Hardthöhe - ist Ocker seit April 2003 Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr.
Generalleutnant Ulrich Wolf, Direktor NATO Communication and Information Systems Services Agency.
Wolf begann seine Bundeswehr-Karriere 1967 als Wehrpflichtiger bei den Pionieren in Höxter. Mitte der 70er-Jahre absolvierte der Vater einer Tochter ein Betriebswirtschaftsstudium in Darmstadt und fungierte als Kompaniechef in Lahnstein. 1986 war Wolf Kommandeur des Pionierbataillons 110 in Minden. Nach dem erfolgreichen Generalstabslehrgang an der Bw-Führungsakademie in Hamburg folgten verschiedene weitere Einsätze - u.a. im NATO-Hauptquartier in Heidelberg.
Generalmajor Wolfgang Korte, Amtschef Heeresamt: Kortes militärische Laufbahn begann 1969 beim Panzerbataillon 333.
Nach dem Generalstabslehrgang zu Beginn der 80er-Jahre war er Referent im BmVg im Bereich Personalwesen. Danach wurde Korte zum Chef des Stabes der 11. Panzergrenadierdivision ernannt; 2003 übernahm er den Posten als stellvertretender Befehlshaber des Heeresführungskommandos. Seit April 2005 ist er Chef des Heeresamts.
Prof. Dr. Holger H. Mey, Institute for Strategic Analyses (ISA).
Der gebürtige Flensburger studierte politische Wissenschaften und Lateinamerikanische Geschichte in Bonn. Danach folgten verschiedene wissenschaftliche Stationen - u.a. an der Südkalifornischen Universität von Los Angeles und am Center for International Strategic Affairs. Prof. Mey ist Autor des Buches "Deutsche Sicherheitspolitik 2030".
mt@mt-online.de
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