LinksZeitung ,
26.09.2005 :
(Bramsche-Hesepe) Aktionstour macht auf Lagersystem aufmerksam / "Die Lager müssen weg - wir bleiben hier"
Von Peter Nowak
Sie befinden sich meist am Rand der Städte, weshalb viele Menschen in Deutschland gar nichts von ihrer Existenz wissen: die Einrichtungen, in denen in Deutschland Flüchtlinge untergebracht werden. Mittlerweile gibt es ein weit verzweigtes System von Lagern, in denen Tausende Menschen teilweise über Jahre leben müssen. Aufnahmelager für neuangekommenen Flüchtlinge ebenso wie Ausreisezentren für solche, deren Asyl nicht anerkannt wurde. Seit Jahren machen Flüchtlingsgruppen gegen das Lagersystem mobil. Sie sehen sich ausgegrenzt und in ihren Grundrechten beschnitten. Doch es ist noch immer schwer für sie, Gehör zu finden. Denn die Lobby für Flüchtlinge ist klein, nur einige antirassistische Gruppen mit und ohne kirchlichen Hintergrund sowie Menschenrechtsinitiativen unterstützen die Anliegen der Flüchtlinge.
Das hat sich auch am vergangenen Samstag und Sonntag gezeigt, als das bundesweite No-Lager-Netzwerk zur zweitägigen Anti-Lager-Tour aufgerufen hatte. Begonnen hat sie am Samstag in Hesepe in Niedersachsen. Dort befindet sich das Abschiebelager Bramsche. Etwa 50 Bewohner begrüßten die rund 500 Demonstranten freudig und beteiligten sich an der Protestaktion.
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, das gemeinsam mit Flüchtlingsgruppen zu der Aktion mobilisierte, forderte eine öffentliche Inspektion des Lagers. Das hat die Lagerverwaltung allerdings strikt abgelehnt. "Deren Angebot, lediglich eine Delegation von zehn Personen durch das Lager zu führen, haben wir abgelehnt. Das ist nicht die demokratische Öffentlichkeit, wie wir sie herzustellen beabsichtigen", erklärte Komitee-Sprecher Dirk Vogelskamp. So musste die Demonstration samt Pressevertretern schließlich 30 Meter vor dem Lagertor halt machen. Die Polizei hatte das Gelände abgeriegelt.
Trotzdem wurde die Aktion von den Veranstaltern als Erfolg gewertet. "Die Polizei hat das Lager abgesperrt, aber die Bewohner beteiligten sich trotzdem hörbar an der Aktion", meinte ein Flüchtling. Tatsächlich wurde auch von den Flüchtlingen im Lager immer wieder die Parole skandiert: "Das Lager muss weg, aber wir bleiben hier." Die Stimmung war kämpferisch, aber friedlich.
Dagegen kam es am nächsten Tag vor dem Flüchtlingslager Horst in Mecklenburg-Vorpommern zweimal zu kleineren Auseinandersetzungen mit der Polizei, die den Demonstranten vom Lager wegdrängte. Dort hatten sich am Sonntagnachmittag rund 200 Antirassisten zu Protesten versammelt.
Mit Bussen waren am Samstagabend viele Flüchtlinge von Bramsche in den Osten gefahren. Sie haben damit bewusst die Residenzpflichtbestimmungen verletzt, die es Flüchtlingen verbieten, den Landkreis zu verlassen, der ihnen von den Ausländerbehörden zugewiesen wurde. Der Kampf gegen die Residenzpflicht steht seit Jahren auf der Agenda von Antirassisten und Flüchtlingsgruppen ganz oben. Mittlerweile ist auch eine Klage von Betroffenen vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof anhängig.
Am Sonntag wurde in ganz Deutschland die "Woche des ausländischen Mitbürgers" feierlich eröffnet. Sie soll für Mitmenschlichkeit und Toleranz werben. Doch mit der Aktionstour sollte bewusst ein Kontrapunkt zur Feierlichkeit gesetzt werden. "Die derzeitigen flüchtlingspolitischen Entwicklungen in Mecklenburg-Vorpommern lassen es aus unserer Sicht kaum zu, diese Woche in einer Atmosphäre gegenseitigen Verständnisses zu begehen. Im Gegenteil ist es unerlässlich die Landesregierung und Sie als Medienvertretern mit der Wirklichkeit zu konfrontieren", sagte Falk Schlegel von der Antirassistischen Initiative Rostock, von der die Lagertour in Mecklenburg-Vorpommern koordiniert wurde.
"Die beiden ausgewählten Bundesländer, das CDU-regierte Niedersachsen und das von einer Koalition aus SPD und PDS verwaltete Mecklenburg-Vorpommern machen auch deutlich, dass die Belange der Flüchtlinge unabhängig von der Parteikonstellation energisch vertreten werden müssen", betonte ein Sprecher der Aktion.
Auch für die Zukunft planen Antirassisten und Menschenrechtsaktionen Proteste. Dabei wird die internationale Dimension betont. Das Lagersystem ist anders als die Residenzpflicht nämlich keine deutsche Besonderheit. In vielen europäischen Ländern müssen Flüchtlinge in Lagern leben. Zunehmend sollen die Lager sogar an den EU-Aussengrenzen errichtet werden, damit die Migranten erst gar nicht auf EU-Gebiet gelangen.
Darauf haben sich erst kürzlich die EU-Gremien verständigt. Die Antirassisten sehen darin ein alarmierendes Zeichen für die Demokratie. Aber sie betonen auch, dass sich in ganz Europa Betroffene und Unterstützer gegen dieses Lagersystem wehren. "Wir haben am Wochenende dazu einen Baustein geliefert, nicht mehr und nicht weniger", sagte ein Flüchtling in Bramsche.
wj@linkszeitung.de
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