WebWecker Bielefeld ,
20.09.2005 :
(Bielefeld) Ort der Erinnerung
Eine kleine Gruppe reiste vor zwei Wochen aus Bielefeld nach Sobibor im östlichen Polen, um auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers in ehrenamtlicher Arbeit mit dem Aufbau eines Gedenkraums zu beginnen, dass an die 250.000 dort von den Nationalsozialisten Ermordeten erinnert.
Von Manfred Horn
Es ist nicht mehr viel geblieben: Auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslager Sobibor finden sich heute nur noch ein kleines Museum, ein Aschehügel und ein Monument, die an die Schrecken der Vergangenheit erinnern. Sobibor liegt im östlichsten Polen, kurz vor der ukrainischen Grenze. Heute ist die ärmliche Region ob ihrer Seen ein beliebtes Urlaubsziel. Dabei war Sobibor während des Nationalsozialismus eines der drei Vernichtungslager, in über zwei Millionen Menschen ermordet wurden.
Die Lager hießen Belzec, Treblinka und Sobibor, alle lagen im heutigen Polen. Die Vernichtung vor allem von Juden trug den Namen "Aktion Reinhardt". Der Name der Aktion bezog sich ursprünglich auf den Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Fritz Reinhardt. Im Juli 1942 beauftragte Reichsinnenminister Heinrich Himmler, systematisch alle Juden, die in den fünf Distrikten des Generalgouvernements Warschau, Lublin, Radom, Krakau und Lvov lebten, zu ermorden. Im Laufe der "Aktion" wurden aber Juden aus ganz Europa in den drei Lagern umgebracht.
Kreis hat kaum Geld
Während der polnische Staat sich um das Lager in Treblinka Belzec kümmert, fließt nach Sobibor kein Geld. Hier ist der Kreis zuständig – und der hat kaum Geld. Unterstützung von anderen Ländern kommt nicht an, die wird zwischen Staaten abgewickelt, die deutsche Bundesregierung etwa gibt kein Geld an eine Gemeinde. So hat Marek Bem, Direktor des Heimatmuseums im Kreis Wlodawa, einen schweren Stand: Mit einem Etat von rund 50.000 Euro muss er gleich drei Museen betreiben, Ausstellungen und Personalkosten inklusive. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der kleinen Stadt Wlodawa, für das Museum auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers bleibt kaum Geld.
Dennoch ist dort eine kleine Gedenkstätte entstanden. Im Erdgeschoss dokumentieren Wandtafeln die "Aktion Reinhard". Nachdem die "Aktion Reinhardt" im November 1942 abgebrochen wurde, rissen die Nationalsozialisten die Anlagen ab und der Boden wurde umgepflügt. Nichts sollte mehr an die Vernichtung von 250.000 Menschen an diesem Ort erinnern.
Seit acht Jahren nun halten Raphaela Kula und Fritz Bornemeyer aus Bielefeld Kontakt zu der Gedenkstätte. Damals reiste sie nach Polen und besichtigte die drei Vernichtungslager. Vor drei Jahren dann entstand gemeinsam mit dem Kasseler Bildungswerk "Stanislaw Hantz" und der niederländischen Stiftung Sobibor die Idee, eine Allee für die Opfer zu schaffen (WebWecker berichtete). Man wollte statt eines großen Waldes des Vergessens eine Allee schaffen, die an die Opfer erinnert. Inzwischen ist ein Schotterweg fertig, der zwei Punkte verbindet: Die Rampe, an der die Deportierten ankamen, und die Gaskammer. Der letzte Weg vieler Menschen. Die Gedächtnisallee ist auch ein erster Schritt, die Topographie des Vernichtungslagers deutlich zu machen. Es fehlt an Plänen, Wegen und Markierungen auf dem Gelände.
Rund 140 Steine säumen diesen Weg inzwischen. Zu jedem Stein wurde eine Tanne gepflanzt. Die Steine sind kleine Findlinge aus der Umgebung, auf die jeweils ein Text eingraviert wurde. Zwei Steine aus Bielefeld stehen dort inzwischen auch: Sie erinnern an Hans und Inge Dreyer, die aus Bielefeld verschleppt und dort am 28. Mai 1943 vergast wurden. Raphaela Kula und Fritz Bornemeyer suchten nach den Namen von Deportierten, und haben insgesamt acht aus Ostwestfalen ausgemacht, die in Sobibor ermordet wurden. Weitere Gedenksteine könnten folgen. "Dies wäre auch ein gutes Projekt für eine Schule in Ostwestfalen", erklärt Kula.
Die Nationalsozialisten führten damals keine Vernichtungslisten. Der Tod kann heute nur noch an Hand von Deportationslisten statistisch nachvollzogen werden. Es ist insbesondere der Sobibor-Überlebende Jules Schelvis aus den Niederlanden, der in jahrzehntelanger akribischer Arbeit die Deportationslisten aus den Niederlanden recheriert hat. Hinzu kommen inzwischen Listen aus Frankreich und Tschechien. Diese Listen sollen demnächst im kleinen Museum auf dem Gelände in Sobibor einsehbar sein. Dies ist das zweite Projekt neben der Gedenkallee. Im Obergeschoss des Holzhauses richtet eine kleine Gruppe, zu der auch Kula und Bornemeyer gehören, ein Mini-Museum zu Sobibor ein. Ganze 18 Quadratmeter hat der Raum, nicht viel. Museumsdirektor Bem ist begeisert, stellte den Raum zur Verfügung, verlegte Teppichboden und ließ die Wände streichen und stellt seinen Werkzeugkasten zur Verfügung. Für mehr reicht das Museumsbudget allerdings nicht.
Die kleine Gruppe aus Bielefeld fuhr Anfang September nach Sobibor und hatte allerlei im Gepäck. In dem Raum hängten sie die ersten Fotographien von in Sobibor Ermordeten auf, stellten Archivkästen auf. In diesen sollen die Besucher später Informationen über Ermordete erhalten – in polnisch, englisch und deutsch. Ein Riesenprojekt, da es gilt, Informationen aus der ganzen Welt zusammenzutragen. Zudem sollen die Deportationslisten an einem Computer einsehbar sein. Die Arbeit an dem Raum geschieht ehrenamtlich. Unterstützung finanzieller Art gibt es lediglich von Privatpersonen, berichtet Kula, die zugleich um weitere Spenden für den Museumsraum wirbt.
Spenden für die Gedenksteine und das Museum im ehemaligen Vernichtungslager Sobibor an: Internationales Begegnungszentrum, Stichwort: Sobibor. Konto 73005613 bei der Sparkasse Bielefeld, Bankleitzahl: 48050161
Kontakt zu der Initiative in Bielefeld: Fritz Bornemeyer, Tel.: 0521.882974. Hier können auch Fragen beantwortet werden, wenn eine Gruppe nicht nur spenden, sondern auch selbst einen Gedenkstein setzen will.
Zu Sobibor erschienen im WebWecker zwei Artikel über Überlebende: ein Bericht über Jules Schelvis und über Tovi Blatt, ebenfalls Überlebender von Sobibor.
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