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Lippische Landes-Zeitung , 27.08.2005 :

(Augustdorf) Rüsten für die Realität / Panzergrenadierbataillon 212 bereitet 5.000 Soldaten auf Auslandseinsätze vor

Von André Blickensdorf

Augustdorf. Blechdosen, Autoreifen und Stein-Attrappen fliegen durch die Gegend. Neun Randalierer rennen 20 Soldaten - Schulter an Schulter positioniert - entgegen. Die Angreifer reißen an den Gewehren. Zwei Panzer geben der Truppe seitlich Schutz. Mit Warnschüssen wird die Bande vorerst abgeschreckt. Das Szenario ist Teil einer Übung. Die lippischen Panzergrenadiere bereiten in Augustdorf in 17 Wochen 5000 Soldaten auf Auslandseinsätze vor.

"Etwa 3.000 Soldaten haben in den vergangenen Wochen das nötige Rüstzeug erhalten, um perfekt für weitere Ausbildungsstufen vorbereitet zu sein, die noch vor dem Auslandseinsatz folgen", erklärt Oberstleutnant Arnold Winkens. Der 43-jährige Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 212 ist seit Juli 2004 am Standort Augustdorf für die Ausbildung verantwortlich.

"Darauf sollten wir achten, meine Herren"
Hauptfeldwebel Schäfer

Die Soldaten der 7. Panzerdivision werden ab Anfang September im Kosovo und Bosnien eingesetzt oder leisten in Afghanistan ihren Dienst. An den "verminten" Standorten im für Übungszwecke speziell aufgebauten Truppenübungslager angekommen, erklärt Presseoffizier Udo Hagedorn: "Die Pioniere leben ihre Ausbildung."

Beispielsweise Hauptfeldwebel René Schäfer. Ausdrucksvoll und deutlich macht er auf "Fallen im Einsatz" aufmerksam. Zunächst gilt es, einen kurzen, schmalen Weg zu durchschreiten, der mit versteckten "Darstellungsladungen" vermint ist. Ein konzentrierter Schritt folgt dem anderen. Geduldig tasten sich die Soldaten vor. Stück für Stück. Schäfer weist deutlich auf die Gefahren hin. Der Ausbilder ist mit dem Verhalten der Soldaten zufrieden. "Hervorragend", lobt er. "Vorbildlich."

Eine Viertelstunde später präsentiert der Hauptfeldwebel "getarnte Schweinereien, die wir am Einsatzort befürchten müssen". Eine Glühbirne wurde präpariert und ist zu gut einem Drittel mit Benzin gefüllt. Damit nicht das Licht des Lebens durch das gefährliche Lämpchen gelöscht werde, sei Vorsicht geboten, betont der Hauptfeldwebel.

Auch Bügeleisen, Telefone und Bücher werden als zum Missbrauch manipulierte Alltagsgegenstände vorgeführt. "Darauf sollten wir achten, meine Herren", fordert Schäfer die 20 Männer und eine Frau seiner Ausbildungsgruppe auf. Sie nicken zustimmend, folgen den Ausführungen des Hauptfeldwebels konzentriert.

Auf der Abkürzung zurück zum Auto ist eine fast unsichtbare Drahtschnur an den Füßen zu spüren. "Da haben sich die Pioniere wieder was einfallen lassen", erkennt Presseoffizier Udo Hagedorn. Wer den vorgesehenen Weg verlasse, sei gefährdet. Vor allem am Einsatzort, aber auch bei Übungen. Das zeigt eine weitere nachgestellte Situation: Ein Soldat gerät während einer Pause abseits des Weges. Er tritt in eine Mine, schreit laut auf, und verliert ein Bein. Um solche lebensbedrohlichen Vorfälle zu vermeiden, werden Soldaten aus dem gesamten Bundesgebiet, aber auch aus Albanien und Georgien in Augustdorf in Krisensituationen geschult. Kommandeur Winkens: "Jeweils montags reisen bis zu 300 Teilnehmer an. Sie erhalten zunächst Informationen zur aktuellen Lage und den Rechtsgrundlagen im Einsatzland sowie mehrmalig Sicherheitsbelehrungen. Es folgen drei Tage praktische Ausbildung und abschließend wird die Handlungssicherheit mit Funkgeräten geschult. Derzeit befinden wir uns in der 14. Woche und haben bereits mehr als 3.000 von 5000 Soldaten ausgebildet."

Blitzartig schnellen die Gewehre gen Himmel

Die Randalierer greifen erneut an. Eskalationstraining ist wieder angesagt, aber das Szenario wirkt gestellt. "Die Ausbildungsabschnitte verlaufen im Zeitraffer und sind sehr künstlich", erklärt Oberleutnant Christoph Hemmerle. Und auch, wenn der Grundsatzunterricht für die Ausbilder nach 14 Wochen ohne Unterbrechung schon sehr trocken sei, für die Soldaten sei er aber ungemein wichtig. Im Auslandseinsatz seien diese Krisensituationen durchaus authentisch, betont Hagedorn. "Die Dramaturgie solcher Ereignisse im Einsatz ist nie vorhersehbar."

Die aufgebrachte Bande läuft ohne Rücksicht auf Verluste den Soldaten entgegen, provoziert sie mit deftigem Vokabular und zerrt selbstmörderisch an den Waffen der Einsatzkräfte. Blitzartig schnellen die Gewehre senkrecht gen Himmel, Warnschüsse halten die Meute auf Distanz. Sekunden später wird die Übung unterbrochen, der Ausbilder geht in die Einzelkritik und fragt die beteiligten Soldaten nach ihrem Empfindungen während des Angriffs. "In solchen Situationen ist es wichtig, Schulter an Schulter mit dem Nebenmann zu stehen und die Kraft des Kameraden zu spüren", sagt Offizier Udo Hagedorn. Der 48-Jährige wurde 2004 als Betreuungsoffizier im Kosovo eingesetzt.

Die psychische und physische Belastung in Krisensituationen ist enorm groß. Am Einsatzort sei es daher wichtig, "dass die Soldaten während ihres 24-Stunden-Dienstes auch mal abschalten können und sich bei abendlichen Feiern Ventile öffnen. Auch telefonischer Kontakt zur Familie ist wichtig. Zum Teil sind auch Video-Schaltungen nach Deutschland möglich", so Hagedorn.

Nächste Übung: Minensuche. Bei der Trittspur-Legung, die auf verminten Flächen mit einer Suchnadel zu absolvieren ist, werden kleinste Fehler mit einem lauten Knall und rotem Rauch bestraft. Im Ernstfall besteht dabei Lebensgefahr.

In Augustdorf sollen die Truppen den Grundstock für ihre Auslandseinsätze bekommen. In späteren Übungen sind sie dann noch gefordert, mit kompletter Schutzausrüstung gegen bis zu 30 Gegner zu bestehen und auch Geiselnahmen nachzuempfinden. Aber jetzt ist erst Mal Mittagspause. Danach wird weiter trainiert, richtig auf fanatische Randalierer und tödliche Fallen zu reagieren - als Rüstzeug für die Realität.

27./28.08.2005
Detmold@lz-online.de

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