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Lippische Rundschau ,
03.06.2000 :
Unbekannte haben in der Zeit von Montag bis Donnerstag den jüdischen Friedhof heimgesucht / 56 Grabsteine mutwillig umgeworfen und zerstört
Detmold (blz). Der jüdische Friedhof in Detmold: Vogelgezwitscher übertönt das leise Rauschen des Verkehrs auf den Straßen ringsherum, überbordende Efeuranken und hohe Farngewächse lassen die dichte Besiedlung in der direkten Nachbarschaft vergessen - eine Oase der Stille mitten in der hektischen Geschäftigkeit der Innenstadt. Doch irgendwann zwischen Montag und Donnerstag hat jemand diese Ruhe gestört: Unbekannte haben 56 der 235 Grabmäler umgeworfen und teilweise so stark zerstört, dass eine Sanierung kaum mehr möglich erscheint.
Tiefe Betroffenheit drücken die Gesichter der Menschen aus, die am Freitagmorgen schweigend durch die Reihen der alten Grabsteine gehen. Gertrud Wagner, Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Lippe, und Vorstandsmitglied Monika Rey, die auch Mitglied der jüdischen Kultusgemeinde Herford-Detmold ist, haben die traurige Aufgabe übernommen, eine Bestandsaufnahme des Schadens anzufertigen. 45 Grabsteine, so hieß es ursprünglich im Polizeibericht, seien beschädigt worden - die Mitglieder der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit kommen auf 56.
"Ewige Ruhe gestört"
Darunter neue Gräber, die erst vor einem Jahr hier angelegt wurden. Aber auch historische Steine aus dem 19. Jahrhundert: Der jüdische Friedhof aus dem Jahr 1883 dokumentiert die lange Tradition jüdischen Lebens in Detmold. Auch drei Steine des früheren Friedhofs - auf der Ecke Siegfriedstraße/Richthofenstraße angesiedelt, ein Grundstück, das heute als Parkplatz genutzt wird - liegen umgestürzt im Gras.
"Der Gedanke der ewigen Ruhe wurde durch die Verlegung der Gräber schon einmal gestört. Und nun auch das noch", ist Monika Rey fassungslos - nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass auch das Grab ihres Großvaters betroffen ist. Zu fast jeder Gedenkstätte wissen die Vorstandsmitglieder der christlich-jüdischen Gesellschaft eine Geschichte zu erzählen. Jedes Grab repräsentiert eine Familie, Persönlichkeiten, Schicksale.
Wenig Fakten
Was ist auf dem Friedhof geschehen? "Wir wissen es noch nicht genau", so die Antwort der Polizei, deren Ermittlungen andauern. Wenige Fakten konnten bisher zusammengetragen werden: Am Montag besucht eine Angehörige eines der jüngeren Gräber auf dem von einer hohen Hecke umschlossenen Gelände an der Spitzenkamptwete. Den Schlüssel für die hohe Pforte bekommt sie bei Monika Rey. Schon längst nicht mehr hänge er wie früher einfach am Nachbarhaus, erklärt die Detmolderin.
Am Donnerstag gegen 18.30 Uhr geht ein Mitglied der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit an dem Areal vorbei und bemerkt, dass etwas nicht stimmt: Blumenschalen liegen umgestürzt auf einem Grab. Schnell ruft die Frau Monika Rey herbei, gemeinsam entdecken sie die Zerstörung.
Neben den umgeworfenen Grabsteinen fällt die Zerstörung des Gerätehauses auf: Mit einem dicken Stein wurde die Holzverkleidung eingeschlagen, das Regenrohr liegt ebenfalls zersplittert im Gras. "Das muss doch Lärm verursacht haben. Die Nachbarn müssen doch etwas gehört haben", wundern sich die Anwesenden. Doch bei der Polizei war kein Hinweis auf die Vorgänge auf dem Friedhof eingegangen.
Noch am Donnerstagabend treffen Beamte auf die Alarmierung von Monika Rey hin am Tatort ein und sichern Spuren. Verwirrend vor allem: kleine Schuhabdrücke auf einigen Gräbern - "Größe 37", hat Gertrud Wagner nachgemessen. Am anderen Tag dann die Kunde von der Aussage einer Nachbarin: Sie habe auf Nachfrage der Polizei ausgesagt, dass sie am Mittwochnachmittag ein Kind auf dem Gelände gesehen habe, mit einem Hammer in der Hand. Auch habe sie weitere Kinderstimmen gehört, berichtet Gertrud Wagner.
Ein Zusammenhang mit der Tat? Diese Frage kann zurzeit noch niemand beantworten. Da es sich um einen jüdischen Friedhof handelt, der zerstört wurde, wurde automatisch der Staatsschutz in Bielefeld eingeschaltet, um zu überprüfen, ob die Tat antisemitische Hintergründe hat. Konkrete Hinweise darauf gibt es laut Polizeisprecher Udo Golabeck nicht.
Bürgermeister vor Ort
Wer oder was auch hinter dieser massiven Störung der Totenruhe steckt: Bürgermeister Friedrich Brakemeier, der Freitag ebenfalls vor Ort war und seiner tiefen Betroffenheit Ausdruck gab, versprach spontan unbürokratische Unterstützung durch die Stadt. 100.000 Mark Schaden, so die ersten Schätzungen, das könne ein Verein nicht allein aufbringen.
Das Grüne Team der Stadt will bei der Wiederherrichtung behilflich sein. Doch einige der teilweise kunstvoll gefertigten Steine sind so stark zerstört, dass es kaum möglich scheint, sie wieder zu reparieren.
Auch die Bürger Detmolds ruft Friedrich Brakemeier auf, die jüdische Kultusgemeinde und den Verein für christlich-jüdische Zusammenarbeit bei der Sanierung des Friedhofs zu unterstützen: Noch am Freitag ist ein Spendenkonto für die jüdische Kultusgemeinde Herford-Detmold bei der Sparkasse Herford eingerichtet worden: BLZ 49450120, Kontonummer: 100074541.
03./04.06.2000
wb@westfalen-blatt.de
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