Bünder Tageblatt ,
03.08.2005 :
(Bünde) Erinnern, versöhnen und zusammen Zukunft gestalten / Künstler aus Russland und Deutschland stellen mehr als 60 Exponate "60 Jahre nach Kriegsende" in Haus Reineberg aus / Ab 2. September in Herford
Bünde/Iwanowo/Hüllhorst. "Es war ein schon Experiment, Künstler aus der Stadt Iwanowo in Russland und Deutschland ins Haus Reineberg nach Hüllhorst einzuladen", sagt Pfarrer Dieter Stork, Vorsitzender des Freundeskreises Iwanowo e. V. In der evangelischen Tagungs- und Bildungsstätte am Wiehen haben sie fast drei Wochen miteinander gemalt und gestaltet, themenorientiert, wie sie selbst betonen. Jetzt ist das Ergebnis, eine Ausstellung mit mehr als 60 Exponaten dort zu besichtigen. Es besteht auch Gelegenheit zur Meditation, denn das Thema "60 Jahre nach Kriegsende – sich erinnern, miteinander reden, sich versöhnen und die Zukunft gemeinsam zu gestalten" lädt eben auch zum Nachdenken über die Vergangenheit und Zukunft ein.
Dabei sind die drei Iwanowoer Künstler/innen Svetlana Kutzmichewa, Wladimir Kolobov und Serge Nasonov sowie Nicole Schuck und Anne Katrin Stork aus dem Kreis Herford (jetzt Berlin) nicht plakativ ans Thema heran gegangen, eher verhalten, die Zuschauer zum Gewinnen eines eigenen Standpunktes einladend. Mit von der Partie waren auch Deutsche, die sich nicht unbedingt als Künstler bezeichnen möchten, vielleicht als Autodidakten in der Kunst? Aber aus der Gemeinschaft heraus, die alle zum kreativen Tun einlud, entstanden spontan einige weitere Werke, die das Thema dann doch weiter fachgerecht aufschlüsselten, so Hanna Brundiek Wennemer, Kunsttherapeutin aus Lengerich, Rainer Zimmermann aus Leverkusen und Dieter Stork.
Sogar Dr. Zwetkow, Professor für Ausländische Literatur an der Staatlichen Universität in Iwanowo, hier als einer der Dolmetscher der Gruppe tätig, griff zum Pinsel und schuf zwei kleine Werke zum Thema "Krieg, Versöhnung, die Ausdehnung der Versöhnung".
Es gab eine eindrucksvolle Eröffnung, wobei noch einmal deutlich wurde, welch wichtige kulturelle Funktion Haus Reineberg für das Ravensberger Land und seine Menschen immer noch inne hat und auch in Zukunft haben sollte.
Über 70 Personen waren zur Eröffnung gekommen und lauschten den knappen Ausführungen von Gudrun Laqueur und dem gelungen Vortrag von Mussorskis "Bildern einer Ausstellung", die der ukrainische Künstler, der seit 1997 an der Bremer Hochschule für Künste unterrichtet, präsentierte. Bei dieser Gelegenheit wurde noch einmal deutlich, dass ohne die Unterstützung von Haus Reineberg und deren Leiterin, Pfarrerin Laqueur, die Begegnung mit dem Ergebnis dieser hervorragenden Ausstellung nicht zustande gekommen wäre.
Der Hintergrund für das, was hier geschaffen wurde und nun ausgestellt ist, liegt im Tun des Freundeskreises Iwanowo e.V. begründet, der sich die Versöhnung und Verständigung mit den Völkern des Ostens am Beispiel Iwanowos auf seine Fahnen geschrieben hat und dieses Ziel besonders wirksam im 60. Erinnerungsjahr nach Kriegsende vertritt. Die Ausstellung in Haus Reineberg will dabei ein Detail sein, das dieses Ziel veranschaulicht.
So empfängt gleich im Foyer von Haus Reineberg eine Stellwand mit 50 deutschen und 50 russischen Fotomotiven aus Familienfotoalben die Besucher. Gott und die Eltern geben dem Kind sein Gesicht. Im Folgenden macht der Mensch sein Gesicht selbst. Im Projekt sind Fotos aus deutschen und russischen Familienalben zu sehen, die von 1930 bis 1950 aufgenommen wurden. In Deutschland und in Russland haben die Leute gleiche Werte: Familie, Kinder, Liebe. "Das kann man in ihren Gesichtern lesen. Dank dieser Werte verstanden sich die Menschen verschiedener Länder früher einander, verstehen sie sich jetzt und werden sich immer verstehen", schreibt Nasonov zu seiner Bildergalerie, die ergreifende Motive enthält, den ganzen Unsinn des Krieges: Ein Soldat und eine Krankenschwester erscheinen auf einem Bild, sind ein Paar. Muss sie die Verwundeten zusammenflicken, die ihr Mann angeschossen hat? Wenn man hier Kriegsbilder, Menschen in Uniformen sucht, muss man zweimal hingucken. "Die Zivilbevölkerung, die Mehrheit des Volkes, will keinen Krieg. Darum habe ich so wenig Soldatenbilder ausgesucht, in Russland und in Deutschland ist das dasselbe."
Im Treppenhaus dann ein vier Meter hoher Krieger, oder sind es zwei, die sich erstechen, sich versöhnen? – eine Rollarbeit in Acryl, rot getönt, mit Stoffresten versetzt, eine Arbeit Storks, die die Zwiespältigkeit des Kriegers und des Krieges andeutet. Daneben Hanna Brundiek Wennemer, mit Wortassoziationen zum Thema "Stahl-Stall-Stall von Bethlehem", eine Mahnung an die Christenheit, nicht auf wirtschaftliche Allmacht und militärische Übermacht, sondern eher auf die Ohnmacht des Kreuzes zu setzen, ein Wortbild, das unsere Dialogfähigkeit und vertrauensbildende Maßnahmen und nicht etwa feindliche Übernahmen herausfordert.
Diese Tendenz nimmt die Künstlerin auch den Werken wahr, die sich mit der Eskalation des Krieges und seiner Weiterentwicklungen, zum Beispiel in den Terrorakten in London, die an dem Tage stattfanden, als das Symposion begann. Die nicht enden wollende Schraube der Gewalt, oder wie Jesus sagt: "Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen" (Mt 26,52).
Vor der Kapelle von Haus Reineberg eine Sammlung von Acrylbildern, die Blumen von Haus Reineberg, "Blumen und Frauen sind verletzliche Wesen", so die Künstlerin Svetlana Kutsmichewa, die das Thema der Verletzlichkeit immer wieder zum Thema ihrer Arbeiten macht, so auch in der Collage "Seelenleiter", mit der sie eindringlich an die Millionen Toten des letzten Weltkrieges und aller Kriegstoten danach erinnert. "Seelenleiter" hängt in der Kapelle von Haus Reineberg neben einem Triptychon von Wladimir Kolobov, das feinsinnig das Thema der "Deisis" aufnimmt.
"Deisis" heißt eigentlich "Offenbarung", aber im speziellen Sinne der Orthodoxen Ikonografie meint es Christus, den Weltenrichter, dem links und rechts von Maria und Johannes dem Täufer assistiert wird. Fürsprecher für versagende und zu verurteilende Menschen, dazu rechts und links der Anklagende und der Gnadenengel. Sehr frei geht Kolobov mit dem Deisisthema um, setzt er doch Maria und Johannes in die Augen des richtenden Christus, anders als es die Ikonografie Russlands erlaubt.
Vor der Kapelle auch Anne Katrin Storks bemerkenswerte Installation mit wassergefüllten Glaskästen und Skulpturen in Wachs. "Die Künstlerin wählte ein empfindliches Material für ihre Skulpturen aus. Wachs ist in seiner Stabilität von den Außentemperaturen abhängig. Es entstanden fragile, dennoch gepanzerte Wesen, deren schwebender Zustand im Wasser, hinter Glas geschützt, den Augenblick betont", so der Ausstellungstext, wobei Besucher, die diese Installationen betrachten, auch assoziieren: "Zerstörtes Atom-U-Boot", "Menschenskelette", "Gasmasken" und "Tiefseefische". Gerade die vieldeutige Interpretation zeigt, dass das Thema "Krieg und Frieden" nicht plakativ angefasst werden darf, was in der Tat von den Künstlerinnen vermieden wird. Im Vorflur zur Kapelle hängt eine weitere Arbeit der Künstlerin Stork, zwei Großfotografien und eine Skulptur, Terrakotta, wie wir leben könnten, in und mit der Natur und nicht gegen sie. "Aber nun machen sich die Menschen zu lebendigen Bomben – und wie weiter?"
Im Kaminraum und im darauf folgenden Clubraum dann Bildwerke von Wladimir Kolbov und Svetlana Kutsmicheva, die ihren Malmotiven hier großflächige, bemerkenswerte Computerfotografien, geschnitten und verändert, hinzufügt. Diese Bilder mit den Motiven "Die Frauen, die wir lieben" und "Alles, was wir sind", bilden durchaus den Höhepunkt der Ausstellung, wobei die Künstlerin nochmals das Blumen-Frauen-Thema andeutet – und so das Ausstellungsthema vertieft: "Zerbrechlich und schutzlos im Leben sind Frauen und Blumen".
Wenn man aus den unteren Etagen von Haus Reineberg ans Tageslicht kommt und dabei auf den großen Rasenkomplex im Innenhof zwischen den Gebäuden schaut, fällt dem Besucher ein weiteres Werk zum Thema auf. Nicole Schuck hat eine Arbeit zur Reineberger Kunstausstellung beigesteuert, die sie "Transformationsliegen" und "Auf der Suche nach dem Heiligen Geist" nennt, Installation mit Objekten und Zeichnungen. "Die Installation bezieht sich auf die wirtschaftliche und atmosphärische Situation in Haus Reineberg, die sich auf eine weltweite übertragen lässt. Diese Arbeit ist ein Angebot, Erinnerungen, Zeitiges und Zukünftiges zu vereinen im Austausch mit Anderen, allein und mit der Natur."
Soviel ist sicher, so das Fazit der Besucher: "Wenn der Friede im Großen und Kleinen, in der Welt und in der Kirche gerettet werden soll, müssen Menschen kommunizieren, ihren Geist transformieren, der eine zum anderen hin, dass der eine Geist des Friedens entstehen kann."
Wie assoziiert Rainer Zimmermann zu seinen harmonischen Kreismotiven: "Ich sehe die persönliche Freundschaft zwischen russischen und deutschen Menschen als ein Mittel an, kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern. Freundschaft ist für mich ein Prozess, den ich durch Farbklänge deutlich machen möchte."
Die Ausstellung in Haus Reineberg dauert noch bis zum 28. August. Gruppenführungen sind möglich, müssen aber in Haus Reineberg vorher angemeldet werden unter Telefon (05744) 93070.
Ab 2. September ist die Ausstellung dann in Herford zu sehen, als Doppelausstellung im Kreishaus und im Haus der Kirchlichen Dienste (Kreiskirchenamt). Die Vernissage zu dieser weiteren Ausstellung beginnt am 2. September um 18 Uhr im Foyer des Kreishauses, Amtshausstraße 3.
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