Neue Westfälische ,
20.07.2005 :
(Bielefeld/Hamburg) Auf die Hinterbliebenen hören / "Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944" hält Erinnerung an die Widerständler wach
Von Heike Krüger
Bielefeld/Hamburg. "Es lebe das heilige Deutschland", rief Claus Schenk Graf von Stauffenberg über den Hof des Berliner Bendlerblocks. Es waren seine letzten Worte. Dann wurde der Anführer der Attentäter des 20. Juli 1944 zusammen mit anderen erschossen, nur wenige Stunden nach dem missglückten Attentat auf Hitler im ostpreußischen Führerhauptquartier Wolfsschanze. Die Erinnerung an die Männer des 20. Juli wach zu halten und die Forschung zu ergänzen, ist das Anliegen der "Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944".
Tagungen, Vorträge, wissenschaftliche Publikationen - die Liste der Beiträge ist lang, mit denen die Forschungsgemeinschaft die Geschichte der Männer des 20. Juli aufarbeitet. 1973 wurde sie gegründet, von Hinterbliebenen der Widerständler und von Wissenschaftlern. Im Beirat sitzen heute so namhafte Personen wie Ralf Dahrendorf, Klaus von Dohnanyi, Joachim Gauck und Klemens von Klemperer.
Doch es sind die Hinterbliebenen selbst, die die Gemeinschaft mit ihren persönlichen Erinnerungen tragen. Gelebte Geschichte: Die Stimmen sind kostbar, weil nicht mehr viele Zeitzeugen leben. Der Bielefelder Horst Niemann, ehrenamtlicher Pressesprecher der Organisation, hebt die persönlichen Begegnungen der Mitglieder hervor, von der die Gemeinschaft lebt. Viele sind Nachkommen der Attentäter, auch einige ihrer Witwen sind dabei. Da bekomme manches Treffen den Charakter einer "Familienzusammenführung". Sie alle wollten mehr über ihre Männer, Väter und Großväter erfahren, Einblicke bekommen in das Umfeld, in dem der späte Widerstand wuchs.
"Ich habe anfangs oft gestaunt, wie herzlich sich viele begrüßen", schildert Niemann. Denn einfach war es zunächst nicht, engen Kontakt zu halten: "Die Kinder wurden den Frauen meist weggenommen, in Heime und Internate gesteckt, nachdem ihre Väter ermordet worden waren. Dort lebten sie unter falschem Namen. Doch hinter vorgehaltener Hand machte man sich bekannt."
Viele Jahre später erkennt man sich wieder. Bei den Treffen und Tagungen. Niemann stieß erst vor fünf Jahren zur Forschungsgemeinschaft. Der IT-Manager im Ruhestand wollte seine "eigene Position klären". Selbst Jahrgang 1938, war er zu NS-Zeiten noch zu jung. Doch nach dem Untergang des Regimes habe auch er Lehrer erlebt - ehemalige Offiziere -, die mit Stiefeln und Uniform im örtlichen Gymnasium auftauchten. Und für die Jungs noch immer "zäh wie Leder, hart wie Krupp-Stahl und flink wie die Windhunde" zu sein hatten. Deshalb ließen sie ihre Schüler im Sportunterricht bis zur Erschöpfung über den Schulhof robben.
"Ich wollte wissen, was hätte ich damals getan? Hätte ich die Braunen unterstützt?", fragte sich der Bielefelder. Dabei stieß er auf die Forschungsgemeinschaft und stellte fest, dass er wahrscheinlich nicht zur bedingungslosen Gefolgschaft getaugt hätte. Bei einer Tagung in der Akademie Tutzing traf er die Tochter des ermordeten Gewerkschafters Hermann Maaß, auch die Publizistin Leah Rosh, und diskutierte mit ihnen über Sinn und Unsinn des Berliner Holocaust-Mahnmals. Daraus entwickelte sich der Kontakt zur Forschungsgemeinschaft.
Zu den wichtigsten Terminen gehört die jährliche nationale Gedenkfeier für die Männer des 20. Juli, zu der Niemann heute mit seiner Frau nach Berlin gefahren ist. Auf den weiten Weg nach Berlin macht sich selbst die 93-jährige Witwe von Helmuth James von Moltke, Freya Gräfin Moltke, die heute in Vermont/USA lebt. "Sie ist eine beeindruckende Frau. Und sie hat viel Wertvolles aus ihrem damaligen Erleben beizutragen", weiß Niemann von einer Tagung über den Kreisauer Kreis, den von Moltke einst anführte. Niemann erinnert sich auch an das üppige Programm des Gedenktages zum 60. Jahrestag des Attentats im vorigen Jahr. Bundeskanzler Schröder hielt die Festansprache, in Massen wurden damals Kränze niedergelegt.
Während eines ökumenischen Gottesdienstes in der Gedenkstätte Plötzensee, der Hinrichtungsstätte der Nazis, in der 110 Todesurteile gegen die "Verräter" des 20. Juli vollstreckt wurden, wiederholen sich alljährlich berührende Szenen.
Hinrichtungsort als letzte Gedenkstätte für Angehörige
"Da sitzen die Witwen, Söhne und Töchter unter den Fleischerhaken, an denen ihre Männer und Väter gehangen haben. Sie muten sich das zu, weil es der letzte Ort ist, den sie mit ihnen verbinden können. Ihre Asche haben die Nazis in alle Winde verstreut", erklärt der Bielefelder.
Es gibt zwar eine Flut an Literatur über den 20. Juli, aber vieles ist noch immer nicht aufgearbeitet: persönliche Briefe der gefangenen Widerständler etwa, oder die Rolle derjenigen, die nicht dem Militär und anderen führenden Schichten des Landes angehörten, der Gewerkschaften und der Frauen.
Die Forschungsgemeinschaft, deren weit verstreute Mitglieder via Internet kommunizieren, hat also reichlich zu tun - am liebsten mit Unterstützung interessierter junger Menschen. Das Ziel: die Erinnerung an ein Beispiel großer Zivilcourage in die nächste Generation zu tragen.
Kontakt: www.forschungsgemeinschaft-20-juli.de
Gründungsgeschichte:
Bereits 1945 gab es die Stiftung "Hilfswerk 20. Juli 1944", doch war sie eine reine Versorgungseinrichtung. Die Angehörigen der Widerständler hatten oft Besitz und Rentenansprüche verloren, ihre Kinder waren ihnen weggenommen worden oder wurden als "Verräterkinder" auch nach dem Krieg drangsaliert. Später erhielten viele nur eine kleine Rente, während manche Nazi-Nachkommen – wie die Witwe des Nazi-Richters Roland Freisler– von üppigen Pensionen leben konnten. Nachdem die Stiftung dazu beigetragen hatte, die größte Not zu lindern, wurden kritische Stimmen laut: Unter dem Eindruck der 68er-Bewegung kam Unmut auf über die "lückenhafte und konservative, zu stark auf den militärischen Widerstand" konzentrierte Forschung. Zunächst versuchten die innovativen Kräfte den Dialog mit der Stiftung, 1973 kam es dann aber zur Gründung einer eigenständigen Organisation, der heutigen "Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944", die bis heute mit der Stiftung kooperiert.
20. Juli: Wie mit der Kamera dabei:
Bielefeld. Wo deutsche Sender Geschichte bloß in "Dokdramen" nachspielen lassen – etwa "Stauffenberg" mit Sebastian Koch – gehen britische ein Stück weiter: Die Produktion "Die Verschwörung" von Discovery Channel, heute bei RTL2, lässt Hitler, Stalin, Churchill und Roosevelt mittels Computer wieder auferstehen. "Was wäre, wenn am 20. Juli 1944 Kameras dabei gewesen wären" fragt der Film und präsentiert den Tag in nachgespielten Szenen, in die die Gesichter der Staatslenker elektronisch einmontiert wurden. Auf alt getrimmte Optik und knisternder Ton sorgen dafür, dass das Ganze noch authentischer wirkt. Und so ist man wie selbstverständlich dabei, wenn Stalin seine Haushälterin herzt, Hitler vor dem gescheiterten Attentat seine Hosenträger hochzieht und Roosevelt einen Hirnschlag erleidet. Der suggestive Kommentar tut ein Übriges, dass die Konturen von Realität und nachträglicher Interpretation verschwimmen.
"Die Verschwörung", RTL2, heute 20.15 Uhr
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