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30.06.2005 :
Übersicht
Veröffentlichungen am 30.06.2005
01.) Informationsveranstaltung:
"Bialystok in Bielefeld. Der Mord an den Juden Bialystoks und die Prozesse vor dem Landgericht Bielefeld."
02.) Radio Bielefeld:
(Bielefeld) Passbeschränkung für Hooligans
03.) Neue Westfälische:
(Bielefeld/Minden) Hooligan-Datei: Gericht verweigert Löschung
04.) Neue Westfälische:
(Bielefeld) Heute: Demo vor und während Ratssitzung
05.) Lippische Wochenschau:
(Lemgo) Auftakt für Sammlung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge / Erlös für Rossoschka
Nachrichten vom 30.06.2005
Flucht / Rassismus
01.) Internierte über Nacht ausgeflogen / Massenabschiebungen von der italienischen Insel Lampedusa kurz vor Ankunft von linken EU-Abgeordneten (junge Welt)
02.) "Asylbewerber in Nacht- und Nebelaktion abgeholt" / In Düsseldorf wurden 70 Kurden abgeschoben / Gefesselt, geschlagen, mit Psychopharmaka ruhiggestellt / Ein Gespräch mit Neslihan Celik (junge Welt)
01.) Internierte über Nacht ausgeflogen / Massenabschiebungen von der italienischen Insel Lampedusa kurz vor Ankunft von linken EU-Abgeordneten
Kurz vor Ankunft einer Delegation der Linksfraktion des EU-Parlaments (GUE/NGL) am Dienstag wurden mehr als 800 Flüchtlinge in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Internierungslager von der italienischen Insel Lampedusa nach Nordafrika abgeschoben. Offensichtlich wurde das Lager für den Besuch präpariert. Zumindest liegen Gusto Catania, sizilianischer Europaabgeordneter der Rifondazione Comunista, entsprechende Berichte vor. "Es ging den Verantwortlichen nur darum, einen möglichst günstigen Eindruck zu erwecken", erklärte EU-Abgeordneter Tobias Pflüger auf Lampedusa. In Gesprächen mit Offiziellen sei klargeworden, dass hier gegen den internationalen Flüchtlingsschutz verstoßen wird und radikal Massenabschiebungen ausgeführt werden.
Auf Lampedusa sind die Folgen der EU-Abschottungspolitik am deutlichsten sichtbar. Das von den EU-Abgeordneten besuchte Flüchtlingslager "Airport Zone CPTA" (Centri di Permanenza Temporanea e Assistenza) könnte als Modell für zukünftige Internierungslager in Nordafrika dienen. Es wurde 1998 als Auffanglager für Flüchtlinge eingerichtet, die auf der Insel zwischen Tunesien und Sizilien ankommen. Die Überfahrt dorthin ist gefährlich. Schätzungen zufolge ertrinken 500 afrikanische Migranten jährlich beim Versuch, Italien zu erreichen.
Im Oktober 2004 landeten in einer Woche 1.787 Flüchtlinge in Lampedusa. Erst eine Woche später konnten Vertreter des UN-Hilfswerks für Flüchtlinge (UNHCR) das Lager betreten. In der Zwischenzeit waren von den italienischen Behörden bereits über 1.000 Menschen in libysche Lager ausgeflogen worden. Wohin genau, wurde dem UNHCR nicht mitgeteilt. Ähnliches ereignete sich, nachdem Mitte März dieses Jahres 1.235 Flüchtlinge die Insel erreichten: Dem UNHCR wurde erst Zutritt gewährt, als nur noch 80 Flüchtlinge da waren. In dem überfüllten Lager, das in Hütten und Containern über Platz für 190 Menschen verfügt, mußten viele tagelang ohne Matratzen und teilweise ohne Decken schlafen. Durch die mangelnden Kapazitäten produzieren die Behörden einen "Ausnahmezustand", der "Airport Zone CPTA" zum rechtsfreien Raum für entrechtete Menschen macht. Die meisten von ihnen werden nach Libyen ausgeflogen, wo die EU keine Verantwortung für deren Behandlung übernehmen muss.
Quelle: junge Welt (Christoph Marischka )
02.) "Asylbewerber in Nacht- und Nebelaktion abgeholt" / In Düsseldorf wurden 70 Kurden abgeschoben / Gefesselt, geschlagen, mit Psychopharmaka ruhiggestellt / Ein Gespräch mit Neslihan Celik
Neslihan Celik ist Rechtsanwältin in Bochum. Sie vertrat eine Kurdenfamilie, die in der Nacht zum Dienstag überfallartig verhaftet und nach Istanbul abgeschoben wurde.
Frage: Nordrhein-westfälische Behörden haben am frühen Dienstag in einer Nacht- und Nebelaktion Dutzende Asylbewerber aus Kurdistan in die Türkei abgeschoben. Sie waren dabei, wie lief das ab?
Neslihan Celik: Die Asylbewerber waren zum Teil mitten in der Nacht zu Hause abgeholt worden, andere kamen offenbar aus dem Abschiebeknast. Als erstes sah ich zahlreiche Fahrzeuge mit Behördenkennzeichen, Reisebusse, Wagen des Bundesgrenzschutzes sowie der normalen Polizei. Die Autos wurden einzeln durch ein Tor aufs Düsseldorfer Flughafengelände gelassen. Ich konnte sehen, wie die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes ausgeladen wurden, sie wurden zum Teil wie Gepäckstücke aus den Autos gezogen. Es dauerte etwa drei Stunden, bis alle in eine auf dem Rollfeld wartende Chartermaschine verfrachtet waren.
Frage: Um wie viele Personen handelte es sich?
Neslihan Celik: Das waren etwa 70, in der Mehrzahl Männer. Aber auch viele Frauen und Kinder waren dabei, junge Männer und alte Menschen. Die Männer waren allesamt mit Handschellen gefesselt. Aus der Ferne konnte ich meinen Mandanten sehen, er trug zusätzlich noch Fußschellen und war blau im Gesicht. Offenbar hatte ihn die Polizei geschlagen.
Die Kinder waren von den Eltern getrennt worden, sie standen in Decken gehüllt herum, einige weinten. Sie wurden von einer Frau betreut, vermutlich einer Sozialarbeiterin. Die Kinder meines Mandanten habe ich allerdings nicht gesehen.
Frage: Welchen Eindruck machten die Kurden auf Sie?
Neslihan Celik: Mein Mandant erblickte mich zwar, sah aber buchstäblich durch mich hindurch, er nahm mich gar nicht mehr bewusst wahr. Später erfuhr ich, dass die Asylbewerber – zumindest die Erwachsenen – Psychopharmaka bekommen hatten. In den Fahrzeugen waren ihnen die Tabletten aufgezwungen oder aufgenötigt worden. Die Frau meines Mandanten soll noch in der Wohnung, aus der die Familie abgeholt worden war, eine Beruhigungsspritze in den Oberschenkel bekommen haben. Das haben mir Nachbarn erzählt. Ich habe sie nicht mehr gesehen – möglicherweise war sie in dem Krankenwagen, der direkt am Flugzeug vorfuhr.
Frage: Haben Sie versucht, Kontakt zu der Familie aufzunehmen, die Sie vertreten? Wie reagierten die deutschen Abschiebebeamten?
Neslihan Celik: Ich durfte bis zum Tor, weiter nicht. Ein Beamter sagte mir, ich habe ja schon vorher Gelegenheit gehabt, mit meiner Mandantschaft zu sprechen. Mit der Abschiebung sei jetzt der Fall abgeschlossen, mein Mandat habe sich damit erledigt. Die Abschiebung verlaufe nach Recht und Ordnung, was ja auch in meinem Sinne sei.
Frage: Aus welchen Gründen hatten die jetzt Abgeschobenen in Deutschland um Asyl nachgesucht?
Neslihan Celik: Es sind Kurden, politische Flüchtlinge aus der Türkei, die zum Teil schon seit Jahren in Deutschland sind. Meine Mandanten z.B. sind schon vor 14 Jahren gekommen. Die europäische Öffentlichkeit vergisst gerne, dass der türkische Staat in den 90er Jahren gegen die Kurden Krieg führte und die Angriffe in der letzten Zeit wieder aufgenommen hat. Die Abgeschobenen müssen befürchten, dass sie von den türkischen Behörden verfolgt werden, sie müssen mit Gefängnis und sogar mit Folter rechnen.
Frage: Was geschah in Istanbul nach der Landung der Abgeschobenen?
Neslihan Celik: Es ist mir leider nicht gelungen, Kontakt zu meinen Mandanten aufzunehmen. Ich habe mich allerdings sofort mit der Rechtsanwaltskammer in Istanbul in Verbindung gesetzt. Türkische Kollegen haben noch in der Nacht versucht, Kontakt aufzunehmen, allerdings vergeblich. Die Behörden leugneten zunächst, dass ein Transport eingetroffen sei, später hieß es zynisch, es sei ein "Paket" mit 70 Personen angekommen. Erst später hieß es, meine Mandanten seien auf freien Fuß gesetzt worden. Was mit den anderen ist, habe ich nicht erfahren.
Quelle: junge Welt
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