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Lippische Landes-Zeitung , 23.06.2005 :

Mit dem Gewehr im Anschlag / Anwohner sind geschockt: Eine Gruppe Soldaten schleicht Dienstagnacht durch Währentrup

Oerlinghausen. Rekruten der Bundeswehr haben am Dienstagabend und in der Nacht auf Mittwoch die Währentruper in Angst und Schrecken versetzt. In Uniform, mit Tarnfarbe im Gesicht und Sturmgewehr im Anschlag, schlichen sie fast die gesamte Nacht durch den Ortsteil. Ältere Bewohner fühlten sich an den Krieg erinnert, längst vergessen geglaubte Erlebnisse kamen wieder hoch.

Von Corina Lass

Bei dem Einsatz handelte es sich um eine Rekrutenabschlussübung des 8. Fernmeldebataillons 820 der Bundeswehr in Augustdorf. Die Übung ende regelmäßig mit einem Orientierungsmarsch bei Nacht, erklärte der zuständige Presseoffizier, Hauptmann Udo Hagemann von der Panzerbrigade 21 in Augustdorf. Die Strecke sei vom Kompaniechef vorab erkundet und über die Bundeswehr bei den zuständigen Stellen angemeldet worden, so dass etwa die Förster Bescheid wussten. Insgesamt seien über die Nacht verteilt etwa 60 bis 70 Rekruten in mehreren Einheiten unterwegs gewesen.

Die Übung war in Währentrup gestern das Gesprächsthema Nummer eins. Kerstin und Ingo Hantke saßen gegen 20.50 Uhr in ihrem Garten an der Straße "Am Iberg", als nur drei Meter von ihrem Wintergarten entfernt die getarnten Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag vorbeischlichen. Beide sind froh dass sie ihre drei Kinder im Alter von sieben und drei Jahren bereits ins Bett geschickt hatten. "Wie hätte sich der Anblick auf sie ausgewirkt? Die hätten ja Albträume bekommen", meint Kerstin Hantke.

Albträume bekam ihr Schwiegervater, nachdem er etwa 15 bis 20 Soldaten wenige Meter von seinem Haus im Gras liegen gesehen hatte. "Ich kam vom Singen, ging in den Garten und guckte in die Gewehrläufe der Bundeswehr." Heinrich Hantke war acht Jahre alt, als er mit seiner Familie aus dem Osten vertrieben wurde.

Kriegserlebnisse kehren zurück

Mit einem Schlag war alles wieder da: die Aggressivität, mit der die Russen die Häuser besetzten und das Spielzeug der Kinder zerstörten, die Vergewaltigung seiner Mutter, die Schreie der Frauen in der Nachbarschaft, denen es ebenso erging, die verkohlten Leichen in einem abgeschossenen Flugzeug. "Ich dachte, ich hätte das alles verdrängt", sagt der 67-Jährige unter Tränen. "Jetzt steigt es wieder hoch."

Kirsten Werner wollte gegen 23 Uhr ihre drei Hunde ausführen, als ihr Mann bemerkte: "Da steht jemand mit einem Maschinengewehr." Das habe sie für einen Scherz gehalten, bis sie selbst den Mann hinter einer Hecke entdeckte. Da dachte sie dann an Gotcha-Spieler: junge Leute, die das Jagen und Töten von Menschen nachspielen. Doch dann kam eine ganze Gruppe Soldaten des Weges. Und wegen der Uniformen kam sie schließlich auf eine Wehrsportgruppe. Werner und ihr Mann beobachteten, wie die Gruppe sich mit anderen Soldaten auf dem Hof Brockmeier versammelte. In keiner Weise sei beabsichtigt gewesen, die Bürger zu erschrecken, aufzuwühlen oder gar zu traumatisieren, sagte Hauptmann Udo Hagedorn.

Bundeswehr entschuldigt sich

Die Soldaten hätten eigentlich gar nicht so nah an den bewohnten Siedlungen vorbeilaufen sollen, sondern allenfalls an den Waldrändern entlang.

"Ganz, ganz sicher", werde die Bundeswehr ihre Konsequenzen aus den jetzt gewonnenen Erfahrung ziehen. "Wir werden dieses Ereignis zum Anlass nehmen, damit sich so etwas nicht wiederholt", sagte Hagemann. "Wir können uns nur entschuldigen."


cla@neue-westfaelische.de

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