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Neue Westfälische ,
24.06.2005 :
(Kreis Gütersloh) Gnade oder Recht? / Helfer fordern Verbleib einer armenischen Familie / Landrat beharrt auf Abschiebung
Von Ludger Osterkamp
Kreis Gütersloh. Die Familie Adamjan aus Armenien muss mit Abschiebung rechnen. Landrat Sven-Georg Adenauer hat gestern betont, dass er im Fall der 52-jährigen Mutter aus Rietberg und ihrer schwerstbehinderten Zwillinge Agnes und Adrine (14) keinen Ermessensspielraum sehe.
"Die Rechtslage ist eindeutig." Adenauer reagierte auf Forderungen des Unterstützerkreises für die Familie, er solle den Verbleib in Deutschland ermöglichen.
"Wir halten es aus humanitären Gründen für unverantwortlich, die Schwestern mit ihrer Mutter nach Armenien abzuschieben", sagte Andrea Melzer, die gestern mit Brigitte Gehle und Anne Henke für die Schulpflegschaft der Gütersloher Michaelisschule sprach. Die Schwestern besuchen dort die achte Klasse. Sie leben seit achteinhalb Jahren in Deutschland.
Als behinderte Menschen erwarteten die Zwillinge in Armenien "medizinisch-pflegerisch unerträgliche Zustände", sagte Andrea Melzer. Zudem habe die Familie dort bis auf eine 80-jährige Tante keine Verwandten mehr; es gebe kein soziales Netz, das sie auffange. "Wir wissen, dass rechtlich alles gelaufen ist, aber wir appellieren an den Landrat, dass er Gnade vor Recht ergehen lässt", sagte Brigitte Gehle.
Adenauer, Chef der Ausländerbehörde des Kreises, verweist indes darauf, dass der Asylantrag der Familie Adamjan bereits im Herbst 1998 "unanfechtbar abgelehnt" worden sei. Seitdem gebe es eine "vollziehbare Ausreisepflicht", die der Kreis bislang "eher großzügig" nicht vollstreckt habe. Einen Antrag zum Wiederaufgreifen des Falles habe das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge 2004 abgelehnt.
Adenauer betonte, dass er den Fall "aus menschlicher Sicht ausgesprochen tragisch" und den Einsatz vieler Menschen für die Adamjans nachvollziehbar finde. Vor zwei Wochen hatten Mutter und Zwillinge ihn in seiner Sprechstunde aufgesucht. Er habe sich daraufhin dafür eingesetzt, "dass die Abschiebefrist um vier Wochen verlängert wird und die Kinder das Schuljahr zu Ende machen können."
Sollte die Familie nicht bis zum 1. August freiwillig ausgereist sein - wozu er rate, wozu die Stadt Rietberg auch eine finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt habe - müsse sie mit einer Zwangsabschiebung rechnen. Er könne es sich nicht leisten, einen Präzedenzfall zu schaffen. "Das wäre ein Dammbruch."
"Der Fall Adamjan ist keineswegs einer von vielen", meint indes Brigitte Gehle von der Pflegschaft der Michaelisschule. Allein erziehend, zwei behinderte Kinder, dazu eine hoffnungslose Perspektive und eine schlechte medizinische Versorgung im Herkunftsland - "ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kreis mehr solcher Fälle auf dem Tisch hat", sagte Gehle. Zudem habe Neli Adamjan ein Angebot auf eine unbefristete Vollzeitstelle vorliegen.
Die Gesellschaft für Sozialarbeit wolle die gelernte Anästhesieschwester und Hebamme als Integrationshelferin im Raum Bielefeld/Gütersloh einstellen, möglicherweise als Arbeitskraft in eben jener Förderschule, die der Kreis heute am Torfweg in Rietberg einweiht und die nach den Ferien ihre Kinder besuchen würden.
Melzer: "Die Kommune wäre von der Sozialhilfe entlastet, ein wesentliches Argument gegen einen weiteren Aufenthalt fiele weg." Laut Unterstützerkreis heiße in diesem Fall auch der Rietberger Bürgermeister André Kuper das Verbleiben gut.
Adenauer, dessen Haltung wesentlichen Einfluss auf den Petitionsausschuss des Landtages habe, der im Juli tagt, solle sich nicht hinter den Gesetzen verstecken. "Ob Frau Adamjan eine Arbeitsstelle hat oder nicht, ist rechtlich völlig unerheblich", sagte dagegen Adenauer.
Zudem vertrete das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Ansicht, dass eine medizinische Behandlung der Zwillinge in Armenien gewährleistet sei.
lok-red.guetersloh@neue-westfaelische.de
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