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Die Glocke , 24.06.2005 :

(Kreis Gütersloh) Petitionsausschuss eingeschaltet / Behinderten Zwillingen droht Zwangsausreise

Von Nimo Grujic

Rietberg (gl). "Nach achteinhalb Jahren will das Ausländeramt des Kreises Gütersloh eine allein stehende Mutter mit zwei schwerstbehinderten Töchtern ins Nichts schicken." Andrea Melzer, selbst Mutter eines behinderten Kindes, kann für die drohende Abschiebung der 52-jährigen Neli Adamjan sowie ihrer beiden Zwillingstöchter Agnes und Adriane kein Verständnis aufbringen. "Wenn man die kleine Familie zurück in ihre Heimat Armenien schickt, ist sie dort ganz auf sich allein gestellt."

Neli Adamjan und ihre Zwillingsmädchen leben seit knapp achteinhalb Jahren in Rietberg. Die mehrfach behinderten Kinder besuchen die Michaelisschule in Gütersloh. Brigitte Gehle, Vorsitzende der Elternpflegschaft an der Sonderschule für Geistigbehinderte, sowie ihre Stellvertreterin Andrea Melzer setzen sich seit Monaten dafür ein, dass die drohende Abschiebung der dreiköpfigen Familie in letzter Minute abgewendet werden kann. Bislang allerdings hatten sie keinen Erfolg: "Wenn in den nächsten Tagen kein Wunder geschieht, werden Neli Adamjan und ihre beiden Töchter am 1. August zwangsausgewiesen. Bis dahin werden sie von den Behörden noch geduldet", sagt Brigitte Gehle. "Alle rechtlichen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Das Hauptproblem für uns ist, dass schwere körperliche und geistige Behinderungen nicht als Hinderungsgrund für eine Abschiebung ins Herkunftsland gelten."

Die Schulpflegschafts-Mitglieder und Karl Rustige vom Gütersloher Verein "Lebenshilfe" wissen, dass rein rechtlich an dem mehrjährigen Abschiebeverfahren nichts zu beanstanden ist. "Wir hoffen, dass der Petitionsausschuss des Düsseldorfer Landtags, der Anfang Juli das nächste Mal zusammenkommt, Gnade vor Recht walten lässt", unterstreicht Andrea Melzer. "Das ist für Neli Adamjan und ihre Zwillinge Agnes und Adriane die letzte Chance, doch noch ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu bekommen."

"Die Abschiebung nach Armenien wäre für die Mutter und ihre Kinder eine Katastrophe", sagt Brigitte Gehle. "In Armenien ist das staatliche Gesundheits- und Schulsystem längst nicht so gut wie bei uns. Neli Adamjan müsste sich selbst um ihre Töchter kümmern, könnte somit nicht arbeiten gehen und im Umkehrschluss keine Medikamente oder Arztbehandlungen bezahlen. Es wäre ein Teufelskreis." Hinzu komme, dass es bis auf eine 80-jährige Tante keine Verwandten in der alten Heimat gibt. Brigitte Gehle: "Ohne die Hilfe durch eine große Familie ist man als Alleinerziehende mit zwei behinderten Kindern in Armenien verloren."

"Können uns nicht über das Innenministerium hinwegsetzen"

Die Schulpflegschafts-Vertreter der Gütersloher Michaelisschule haben in den vergangenen Wochen auch das Gespräch mit Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) gesucht. Aber ihm sind in diesem Fall die Hände gebunden, wie er gestern im Gespräch mit der "Glocke" erklärte. Adenauer: "Rechtlich ist die Abschiebung der Familie zum 1. August nicht mehr aufzuhalten."

Schon seit 1998 seien die 52-jährige Mutter und ihre Zwillinge ausreisepflichtig. Im weiteren Verfahren sei diese Entscheidung immer wieder bestätigt worden. "Der Kreis Gütersloh kann sich nicht über die Beschlüsse des Innenministeriums hinwegsetzen", sagte Adenauer. Die Zwangsausreise zum 1. August treffe die Familie zwar hart. "Wir müssen aber aufpassen, dass wir keinen Präzedenzfall schaffen", unterstrich der Landrat. Dürfe die Familie gegen geltendes Recht in Deutschland bleiben, seien Beschwerden anderer Asylbewerber, die ebenfalls kranke oder behinderte Kinder haben, vorprogrammiert.

Sven-Georg Adenauer betonte, dass die medizinische Versorgung in Armenien ausreichend sei. Darüber hinaus erhalte die Familie von der Stadt Rietberg eine finanzielle Starthilfe, wenn sie freiwillig zurück in die alte Heimat reist und es nicht zu einer Zwangsausweisung in Begleitung von Mitarbeitern der Kreisverwaltung und der Polizei kommen muss. Eindringlich appellierte der Landrat gestern an die Zwillingsmutter aus Armenien, die seit ihrer Ankunft in Deutschland in der Giebelstadt an der Ems wohnt, aus freien Stücken den Flug in die Heimat anzutreten. Eine Zwangsausweisung wäre für die beiden behinderten Mädchen mit Sicherheit ein nahezu traumatisches Erlebnis, das unbedingt vermieden werden sollte.

"Rein menschlich gesehen kann ich den Wunsch der Familie Adamjan, in Deutschland bleiben zu dürfen, zwar nachvollziehen", sagte Adenauer. "Aber wir im Kreis Gütersloh können uns nicht das Elend der ganzen Welt aufladen." Nicht vergessen werden dürfe, dass die Familie seit achteinhalb Jahren fast nur von staatlichen Mitteln lebe.


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