www.hiergeblieben.de

Mindener Tageblatt , 10.04.2001 :

"Das funktioniert nur so lange, wie du selbst" / Das Leben eines ehemaligen Neonazis: Jörg Fischer über seine Erfahrungen als Ex-NPD-Mitglied / Mit 13 angeworben

Von Kerstin Rathert, Junge Redaktion

Minden (JR). Käme Jörg Fischer heute an eine Weggabelung, würde er sich sicher nicht für den rechten Pfad entscheiden. Er hat aus seiner Vergangenheit als Neonazi gelernt und geht heute sehr offen damit um.

"Es ist ein Teil meiner Biographie, den ich nicht rausstreichen kann, und es ist ein Ausschnitt, den ich nicht wiederholen würde", sagt der heute 31-Jährige. Ihm ist rechtzeitig bewusst geworden, dass er einen Fehler begangen hat, auf den er nicht stolz sein kann.

Jörg Fischer ist ein Junge von gerade mal 13 Jahren, als ihn ein NPD-Funktionär regelrecht anwirbt und mit zum Stammtisch der Jugendorganisation der Partei nimmt. Die Integration erfolgt sehr schnell und bald lernt Jörg, was "wirkliche Kameradschaft" bedeutet. Durch gemeinsame Aktivitäten wie Urlaub, Wochenendausflüge und Lagerfeuer wird der Gemeinschaftssinn geprägt.

Ein Problem "rechts zu sein" hat er nicht, seine neu gewonnenen Freunde sind es schließlich auch. Er löst sich immer mehr aus seinem alten sozialen Umfeld heraus. Er beginnt andere Musik zu hören, die "richtigen" Filme zu sehen und anders eingestellte Menschen zu meiden.

Seiner Mutter versucht er seine rechtsradikale Tätigkeit so gut wie möglich zu verheimlichen, davon abhalten hätte sie ihn aber auch nicht können, ist er sich heute sicher. Schon bald übernimmt der junge Fischer wichtige Aufgaben innerhalb der NPD und wird Jahre später auch Gründungsmitglied der DVU.

Nach jahrelanger Mitgliedschaft, in der Jörg Fischer meist als "Schreibtischtäter", wie er sich selber beschreibt, im Hintergrund die Fäden zieht, reift in ihm der Entschluss, dem Rechtsradikalismus den Rücken zu kehren. Ausschlag gebend für seinen Sinneswandel ist die stark zunehmende Gewalt der Parteimitglieder bei Demonstrationen und anderen Veranstaltungen. "Der Höhepunkt waren dann die Brandanschläge von Hoyerswerda und Lichtenhagen Anfang der 90er Jahre, als "ganz normale Bürger" den Brandstiftern zuschauten und auch noch applaudierten", erzählt Fischer. Er konnte die Begeisterung seiner Kameraden für Gewalt nicht teilen.

Dennoch dauert es vier Jahre, bis er die Austrittserklärung ausfüllt und abschickt - auch noch danach wird er von Zweifeln geplagt, ob seine Entscheidung richtig war. "Du weißt, alle deine Freundschaften finden ihr Ende", beschreibt er seinen Zwiespalt. Der Austritt bedeutet das Ende seines ganzen sozialen Umfeldes, denn das "funktioniert nur so lange, wie du selbst funktionierst".

Die Partei versucht Jörg Fischer zunächst nur durch psychischen Druck zur Rückkehr zu bewegen, es folgen Drohungen. Von seinen ehemals besten Freunden wird er als Feigling und Verräter beschimpft, man appelliert an sein Ehr- und Pflichtgefühl. Trotzdem lässt der Aussteiger sich nicht beirren und bleibt bei seinem Entschluss mit der rechten Szene abzuschließen.

In dieser schwierigen Phase findet Jörg Fischer Unterstützung bei seinem damaligen Freund, der ihm auch hilft, mit seinem neuen, sich vollkommen verändernden Weltbild zurechtzukommen. Der ehemalige Neonazi hat eine Menge Kultur nachzuholen, denn endlich kann er sich die Theaterstücke ansehen, die er möchte, und die Musik hören, die ihm gefällt.

Vor gewalttätigen Angriffen hat er keine Angst. "Wer immer nur Angst hat, fürchtet sich schliesslich auch zu Hause im Bett. Und da habe ich besseres zu tun ... ", erklärt er mit einem Augenzwinkern.

Trotzdem sieht er sich vor, wenn er sich öffentlich gegen Rechtsradikalismus einsetzt. Nach seinem Ausstieg ist ihm bewusst geworden, dass es wichtig ist, die Strukturen der rechtsradikalen Szene zu zerschlagen. Aus diesem Grund befürwortet er auch das zur Zeit in der Diskussion stehende Verbot der NPD. "Die Sinnhaftigkeit des Verbots hängt jedoch von der Motivation ab", meint er.

Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass nicht nur die NPD und die DVU rechts seien. Etwa 15 bis 17 Prozent der Deutschen hätten ein schon ab ihrem 16. Lebensjahr ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild, dem durch ein Parteiverbot nicht entgegengewirkt würde. Selbst die Befürwortung der Todesstrafe oder das Ausschließen von Minderheiten entsprächen dem rechtsextremen Weltbild.

Jörg Fischer lebt heute zusammen mit seinem Freund und dem gemeinsamen Dalmatiner "Titus" in Köln und hat seine Vergangenheit als rechtsradikaler Neonazi hinter sich gelassen. Nach seinem Neubeginn besteht seine einzige Verbindung zu der Szene aus "tote Briefkästen", mit deren Hilfe er sich auf dem Laufenden hält. Freunde aus der vergangenen Zeit hat Fischer nicht mehr. "Es gäbe auch nichts, worüber wir uns noch unterhalten könnten."

Zum nachlesen: "Ganz rechts - Mein Leben in der DVU" von Jörg Fischer, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg, 1999.


mt@mt-online.de

zurück