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Neue Westfälische , 20.06.2005 :

(Bielefeld) Politische Paradiesvögel / Zehnter Christopher-Street-Day lockte mehrere tausend Schwule und Lesben an

Von Jennifer Reker

Bielefeld. Regenbogenfahnen kreisen, Musik wummert aus den Boxen, die ersten Sektflaschen sind längst geleert, als sich der Zug am Siegfriedplatz langsam in Bewegung setzt. Lesben, Schwule, Transsexuelle und Heteros reihen sich in den Umzug zum zehnten ostwestfälisch-lippischen Christopher-Street-Day (CSD) ein. Die Stimmung ist ausgelassen.

"Elf Wagen und etwa 600 Teilnehmer", zählt Nicole Lechner, die mit grünem Polizeibulli das Schlussfahrzeug des Umzugs bildet: "Bis zum Rathausplatz kommen noch viele dazu."

Musizierend und tanzend zieht die bunte Menge über Weststraße, Jöllenbecker Straße, Jahnplatz und Turnerstraße zum Platz vor dem Rathaus. Ausgefallene bis gewagte Kostüme, Paradiesvögel, tanzende Engel und viel nackte Haut blitzen zwischen den Wagen hervor. Menschen bleiben stehen oder schauen aus ihrem Fenster dem bunten Treiben zu.

Tausende Feiernde tummeln sich vor dem Rathaus, etwas weniger als erwartet. Die Veranstalter hatten im Vorfeld mit 7.000 gerechnet.

"Schwule und Lesben werden in dieser Stadt eine immer größere Minderheit", sagt Volker Surmann auf dem Rathausplatz zum Publikum. Aber, ereifert sich der Künstler aus Berlin, die Kaufmannschaft habe sich in den vergangenen Jahren über den bunten Zug durch die Innenstadt beschwert: "Würden alle Schwulen, Lesben und Transsexuelle, die in den Geschäfte der Stadt arbeiten oder Kunden sind, streiken – sie würden sich wundern." Die Menge jubelt, applaudiert.

"Wir sind einer der ersten kleinen CSD in Deutschland und mittlerweile gibt’s schon einen alternativen CSD", freut sich der gebürtige Bielefelder Surmann. Eine Alternativ-Veranstaltung, das Kulturpolitfest "Quertreiben", laufe im AJZ (Arbeiterjugendzentrum), eine weitere Party im Fraze (Frauenkulturzentrum). Surmann: "Das sind Leute, die sich wirklich engagieren." Für einige, die auf dem Rathausplatz feiern, ist der CSD durchaus politisch. "Vielleicht bin ich altmodisch, aber für mich ist das auf jeden Fall eine politische Aktion", sagt Araya Körner: "Es ist eines der wenigen Events, wo es öffentlich wird." Andere kommen eher zum Feiern. Marc Schlechter aus Herford: "Ich weiß schon, dass der CSD seinen Ursprung 1969 hat, am 27. Juni. Aber heute bin ich hier zum Feiern." In Herford gebe es nicht viel für Schwule und Lesben, da sei in Bielefeld deutlich mehr los. Schlechter: "Was die Rechte von Homosexuellen in Deutschland angeht, haben wir so ziemlich alles erreicht. Wir können heiraten und alles – deswegen steht die Bewegung still."

T-Shirt-Aufdrucken wie "Wir sind Papst – doch uns fehlt der Segen", kann Schlechter nicht viel abgewinnen: "Die Kirche ist eben konservativ, da passen wir nicht rein." Aus diesem Grund sei er aus der Kirche ausgetreten. Trotzdem gröhlt er bei dem Lied "Summer of '69" von Bryan Adams genauso mit, wie all die anderen CSDler. Er war und ist eben doch etwas Besonderes, dieser politische Sommer, als sich zum ersten Mal Schwule, Lesben und Transsexuelle öffentlich gegen Schikanen der Polizei wehrten.



lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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