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Mindener Tageblatt ,
20.06.2005 :
Vlotho trommelt gegen Nazis / 800 Menschen demonstrieren gegen das Collegium Humanum / Alt und Jung zeigen Flagge
Vlotho (mt). Es ist ohrenbetäubend: Ein Konzert aus unzähligen Trillerpfeifen, Trommel-Wirbeln, Klatsch-Salven. Vlotho zeigt am Samstag lautstark Flagge gegen das Collegium Humanum, das rechtsradikale Ideologie verbreitet.
Von Michaela Berbalk
Über 800 Menschen drängen sich auf dem Sommerfelder Platz, rücken zusammen gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit. "Ich bin überwältigt", fehlen Bürgermeister Bernd Stute fast die Worte. Jung und Alt, mit Kinderwagen oder Fahrrad bilden eine beeindruckende Kulisse.
Zuvor hat sich der Lindwurm durch Vlothos Innenstadt geschlängelt, auch die kleinsten Weserstädter laufen mit Plakaten vorneweg. "Wir waren in Bergen-Belsen und haben Schreckliches gesehen", hat eine Schülerin mit roter Schrift auf Pappe geschrieben. Daneben hält eine Frau das Schild "Haut ab Nazis" hoch. "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen", "Jeder ist Ausländer überall": Weserstädter und Gäste machen ihren Unmut unmissverständlich deutig.
Die OWL-Gruppe "Samba For Ya" trommelt und reißt die friedliche Demo mit. "Leute lasst das Klotzen sein und reiht euch in die Demo ein", schallt ein vereinzelter Ruf an der Langen Straße durch die Menge. Für einen kurzen Moment lassen die Händler ihre Arbeit liegen, mancher Anwohner schaut dem Zug vom Fenster aus zu.
Bürgermeister Stute begrüßt alle, die gekommen sind, um den "frechen Lügen eine Abfuhr" zu erteilen. Zum ersten Mal zeigt die Stadt auf breiter Basis Flagge gegen die rechte Einrichtung auf dem Winterberg. "Wir müssen sagen, was sich hinter dem zunehmenden biederen Auftreten dieser Leute verbirgt", mahnt Stute und findet deutliche Worte an die Adresse des Collegiums: "Wir wollen euch hier nicht und wir wollen eure vorgestrige Ideologie nicht. Und ihr habt nirgendwo das Recht, euren geistigen Müll zu verbreiten."
Nazi-Rockbands als "Einstiegsdroge"
Inge Wienecke, Vorsitzende der Fachschaft Geschichte am Weser-Gymnasium, und Abiturientin Friederike Twele zeigen die Machenschaften des Collegiums auf. Dieses reihe sich ein in zahlreiche Aktivitäten der rechten Szene, die besonders junge Menschen anziehen sollen. Als "Einstiegsdroge" wirken oft Nazi-Rockbands wie "Kroitzfoier" oder "Sturmtrupp", die "mit ihren Anhängern den 'Kanakensong' grölen, bevor sie sich wieder dem Koma-Saufen zuwenden". Dem Geschichtsunterricht falle eine wichtige Aufgabe zu. Inge Wienecke: "Unsere Schüler müssen in die Lage versetzt werden, die NS-Ideologie, wo sie wieder den Kopf hebt, zu erkennen und zu bekämpfen."
Friederike Twele ruft die Machenschaften der Nationalsozialisten ins Gedächtnis. "Wir wollen nie wieder eine Gesellschaft, in der Jungen mit Spielzeugpanzern, Bleisoldaten und militärischem Drill auf einen geplanten Krieg vorbereitet werden."
Dass es insbesondere für Vlothos demokratische Bildungsstätten unerträglich sei, eine Einrichtung mit dem schönen Namen "Collegium Humanum" ("menschliche Versammlung") an der Bretthorststraße zu haben, macht Professor Dr. Hilmar Peter, Leiter des Jugendhofes, klar. Nicht hinnehmbar vor allem, dass das CH den Holocaust leugnet. "Wir können keine Einrichtung gebrauchen, die den Namen der Bildung verfälscht und einen guten Begriff Collegium Humanum als neonazistische Plattform missbraucht", ruft Peter.
Mit großem Beifall bedenken die über 800 Menschen auch den Beschluss der Kirchenkreis-Synode. Einstimmig hatten alle 90 Teilnehmer am Freitag den Aufruf zur Demo unterzeichnet. Pfarrer Christoph Beyer, der als Repräsentant die zweitägige Tagung verlässt, um bei der Kundgebung dabei zu sein, nimmt die Erwachsenen in die Pflicht. "Wenn dein Kind dich morgen fragt, wo die jüdischen Mitbürger geblieben sind, warum sie nicht mehr leben, dann sollst du bei der Wahrheit bleiben, auch wenn die Wahrheit weh tut!"
"Wahrheit gebeugt und zurechtgebogen"
Genau an diesem Punkt setze der Protest von Christen gegen das Collegium ein. "Dort wird nicht ehrlich geantwortet. Weder den Kindern noch den Eltern. Dort wird die Wahrheit gebeugt und zurechtgebogen, bis sie zu den verdrehten Vorstellungen des Collegiums passt", so Beyer. Wohin dies führe, könne jeder an der Gründung des Vereins erkennen, mit dem Menschen vor Gericht unterstützt werden, die die Verbrechen der Nazis in Abrede stellen. Der Pfarrer appelliert, wie auch alle anderen Redner, die Vergangenheit wach zu halten, sich kritisch mit ihr auseinander zu setzen.
Gesprächsthema ist während des Marsches das Fehlen der CDU. Die hatte abgesagt, da sie nicht mit Vermummten von der Antifa West gemeinsam demonstrieren wollte.
Aus Sicht der Polizei verlief die Demonstration friedlich. Nächstes Treffen des Vlothoer Bündnisses ist am Dienstag, 17 Uhr, im Jugendhof.
mt@mt-online.de
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