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Neue Westfälische ,
16.06.2005 :
"Lübbecke hat uns nicht vergessen" / Max Lazarus' Nachfahren kehren zu Wurzeln zurück
Lübbecke (kor). Es war ein Alptraum, der Max und Olga Lazarus im November 1938 aus ihrer Heimatstadt trieb: ihr Haus niedergebrannt, die Synagoge verwüstet. Die Nazis wüteten während der Reichspogromnacht auch in Lübbecke. Das Ehepaar wanderte - gerade noch rechtzeitig - nach Palästina aus. Jetzt kehrten der Enkel und der Urenkel des ehemaligen jüdischen Kantors und seiner Frau aus Israel für einen Kurzbesuch in die Stadt zurück. Sie sagen 67 Jahre nach dem Alptraum, nach der Vertreibung ihres (Ur-)Großvaters: "Ein Traum ist wahr geworden."
Bürgermeisterin Susanne Lindemann begrüßte Chaim (57) und Ariel Lazarus (28) gestern im Rathaus. Der Vater war vor vier Jahren schon einmal kurz in Lübbecke, der Sohn noch nie. Es sei sehr aufregend, hier zu sein, sagt der auf hebräisch, und sein Vater übersetzt ins Englisch. Obwohl er deutsch versteht, spricht er es nicht. "Die Grammatik ist das Problem", sagt er.
Ariel hat eine Sprache gefunden, in der er sich auch ohne Worte verständigen kann: die Musik. Eigens für Lübbecke hat der Musikstudent ein sehr persönliches Lied komponiert - wie schon sein Urgroßvater in den 20er Jahren. Während Max Lazarus, der Kantor, Lehrer, Prediger und Leiter des Volkschores Gehlenbeck war, allerdings ein Volkslied mit dem Titel "Mein Lübbecke, o sei gegrüßt" geschrieben hat, liebt es sein Nachkomme klassisch. Er spielt klassische Gitarre und tritt am morgigen Freitag um 20 Uhr im Gewölbekeller auf.
"Ich bin der lebende Beweis, dass die Musik in meiner Familie nicht gestoppt werden konnte", sagt der 28-Jährige. In seiner Serenade hat er aus Familien-Erinnerungen Noten geformt. Hierher zu kommen und dieses ganz besondere Konzert zu geben, ergänzt Chaim Lazarus, das sei so, wie einen Kreis zu schließen. "Meine Großeltern hätten das nicht geglaubt."
Auch das Datum von Ariels Auftritt hat fast etwas schicksalhaft Symbolisches: Genau 100 Jahre zuvor, am 17. Juni 1905, wurde Lothar Lazarus, der Sohn von Max und Olga, geboren. Aus dem KZ Bergen-Belsen befreit, war auch der Jurist nach Israel ausgewandert.
Die jüdischen Gäste haben gleich nach ihrer Ankunft die Stätten der Erinnerung ("unsere Wurzeln") in Lübbecke besucht: das Lazarus-Haus an der Bahnhofstraße, den Platz der Synagoge. Nein, Vorbehalte hätten sie nicht mitgebracht, sagen beide. Schließlich habe ihre Familie in Lübbecke viele schöne Jahre verbracht. Und sie hätten gesehen: "Lübbecke hat uns nicht vergessen."
lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de
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